Die letzte Lagune
daran dächte, zu diesem Arzt zu
gehen.»
«Weiß Mr.
Marchmain, dass Sie der Vater des Kindes sind?»
Limes Mundwinkel zogen
sich bei dieser Frage ruckartig nach unten. Doch einen Moment
später hatten sich seine Züge wieder geglättet.
«Mr. Marchmain hat nicht danach gefragt», sagte er.
«Vielleicht hält er ja Flyte für den Vater. Am Ende
sagte er ihr, dass er es sich noch einmal überlegen
würde. Sie sollte ihn im Laufe des Abends darauf
ansprechen.»
«Was sie getan
hat.»
Lime nickte. «Am
Anfang des dritten Aufzugs. Sie hat es nicht mehr ausgehalten.
Deshalb war sie in seiner Loge.»
«Und was hat Mr.
Marchmain gesagt?»
«Dass er bei
seiner Entscheidung bliebe und notfalls einen Arzt in England
wüsste.»
«Was Miss Parker
erneut abgelehnt hat.»
«So ist
es», bestätigte Lime.
«Also hält
sich Ihre Trauer über Mr. Marchmains Tod in Grenzen»,
stellte Tron fest.
Lime nickte. «Es
wäre sinnlos, das abzustreiten.»
«Wer beerbt Mr.
Marchmain?»
«Dr.
Flyte», sagte Lime. «Daran dürfte auch der Ausgang
des Prozesses nichts ändern.»
«Wie soll ich
das verstehen?»
«Ich glaube,
dass Dr. Flyte diesen Prozess verloren hat.»
«Aber er war
davon überzeugt, den Prozess zu gewinnen», sagte
Tron.
«Dann hat er
sich getäuscht.»
«Wie kommen Sie
darauf?»
«Weil Mr.
Marchmain am Sonnabend ein Telegramm aus England erhalten
hat», sagte Lime. «Und weil Dr. Flyte ein paar Stunden
später im Palazzo Zafon aufgetaucht ist und eine Unterredung
mit Mr. Marchmain
hatte.»
Tron brachte es nicht
fertig, seine Überraschung zu verbergen. «Wie bitte? Dr.
Flyte ist am Sonnabend im Palazzo Zafon gewesen?»
«Allerdings.»
«Haben Sie ihn
gesehen?»
«Im
Treppenhaus.»
«Und haben Sie
eine Vermutung, worum es bei diesem Gespräch
ging?»
«Mr. Marchmain
war anschließend auffällig guter Laune. Das war er schon
am frühen Nachmittag gewesen, nachdem das Telegramm gekommen
war.»
«Könnte
dieses Telegramm etwas mit dem Ausgang des Prozesses zu tun
haben?»
«Wahrscheinlich»,
sagte Lime. «Ich vermute, dass Dr. Flyte ebenfalls ein
Telegramm bekommen hat. Jedenfalls hat er ein ausgesprochen
grimmiges Gesicht gemacht, als ich ihn im Treppenhaus gesehen habe.
Ich schätze, er hat verloren.»
32
Sonntag war der Tag,
an dem Tron oft bei seiner Mutter speiste, aber an diesen Essen
nahm die Principessa nur selten teil. Das lag nicht nur an den
eisigen Temperaturen im Speisezimmer des Palazzo Tron, sondern auch
am Küchenpersonal der Contessa. Seit Alessandro nicht mehr
hinter dem Herd stand, waren eine Reihe von Köchinnen an seine
Stelle getreten, die allesamt grauenhaft gekocht hatten.
Entsprechend hatte auch heute das Essen geschmeckt, und als er
anschließend wieder ins Freie trat, hatte er das Gefühl,
hart gearbeitet zu haben.
In der halben Stunde,
die er anschließend brauchte, um auf dem zugefrorenen
Canalazzo zum Palazzo der Principessa zu laufen, war es ihm dann so
ergangen wie vermutlich den meisten Venezianern. Da plötzlich
die Sonne schien und der beständige Ostwind unerwartet
eingeschlafen war, hatte er sich der Illusion hingegeben, dies sei
das langerwartete Ende der Kälteperiode. Immerhin lag der
scharfe Dauerfrost jetzt bereits fast einen Monat über der
Stadt, und niemand konnte sich vorstellen, dass es noch lange so
weitergehen würde. Doch hinter der Ponte Rialto hatte sich der
Himmel schnell wieder bedeckt, und es fing an zu schneien, nicht in
dicken, gemütlichen Flocken, die sanft wie Pappelsamen von
Himmel schwebten, sondern in winzigen, scharfen Eiskristallen, die
auf der Haut brannten. Vor dem Palazzo Balbi war Tron über und
über mit Schnee bedeckt, und da seine Hosenbeine nass waren,
beschloss er, bevor er die Principessa in ihrem Salon aufsuchte,
Gehrock und Hosen mit bequemer Hauskleidung zu vertauschen: einer
wattierten Jacke aus grünem Samt mit einem Schalkragen aus
Kaschmir, dazu bequemen, lediglich durch eine Kordel gehaltenen
Hosen, ebenfalls aus Kaschmirwolle.
Als er sich im
Schlafzimmer umgezogen hatte, fiel ihm auf, dass die Tür zum
angrenzenden Badekabinett einen Spaltbreit offen stand. Immer noch
leicht fröstelnd, stieß er sie auf und sah, dass die
marmorne Badewanne, die in der Mitte des Kabinetts stand, bis zum
Rand mit heißem Wasser gefüllt war. Die Principessa
hatte die Badewanne mit Hilfe eines Schwimmkrans der kaiserlichen
Marine im letzten Herbst einbauen lassen - eine Operation, bei der
Tron an den Transport und die
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