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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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die er gar nicht gestellt hatte: «Wusstest du, dass
Tabakrauchen in Russland früher als Todsünde galt? Und
mit dem Aufreißen der Nase oder dem Aufschneiden der Lippen
bestraft wurde?»
    Die Principessa ging
gar nicht darauf ein. «Ich hatte dich nach Holly Parker
gefragt.»
    «Sie ist
schwanger», sagte Tron.
    «Das sagtest du
bereits. Von wem stammt diese Information - wenn sie denn
stimmt?»
    «Von
Lime», sagte Tron.
    «Und von wem ist
das Kind? Wer ist der Vater?»
    «Ich denke,
Lime. Aber er hat dazu nichts gesagt.»
    «Vielleicht
täuscht er sich. Was ist mit den Plänen, von denen uns
Dr. Flyte erzählt hat? Dass er und Holly Parker heiraten
werden, sobald er die Tagebücher entziffert und übersetzt
hat? Das passt alles schlecht zusammen.»
    «Vielleicht
macht sich Flyte etwas vor.»
    «Ich kenne diese
Holly Parker nicht, aber vielleicht macht sie ihm etwas vor», sagte die
Principessa. «Vielleicht macht sie auch beiden etwas vor. Und
sich selber. Hattest du den Eindruck, dass es Spannungen zwischen
Miss Parker und Lime gegeben hatte?»
    Tron dachte kurz nach.
«Ich hatte tatsächlich zuerst den Eindruck, sie
hätten sich gestritten. Holly Parker schien geheult zu haben,
und Lime kochte förmlich. Aber er hat sich dann wieder
beruhigt.»
    «Hat er sich
über Flyte geäußert?»
    Tron nickte.
«Allerdings. Er meint, Flyte hätte den Prozess gegen
Marchmain verloren. Es ist am Sonnabend noch ein Telegramm aus
London gekommen, über das Marchmain hocherfreut war. Und dann
ist Flyte ein wenig später aufgetaucht, um mit Marchmain zu
konferieren. Lime vermutet, dass er ebenfalls ein Telegramm aus
London bekommen hat. Aber dass Flyte noch am Sonnabend im Palazzo
Zafon gewesen ist, finde ich hochinteressant.»
    «Warum?»
    «Weil Flyte von
dieser Begegnung mit Marchmain mir gegenüber nichts
erwähnt hat.»    
    «Moment
mal», sagte die Principessa. «Er erfährt am
Mittag, dass er den Prozess verloren hat. Dann führt er am
Nachmittag ein Gespräch mit Marchmain, das er dir verschweigt.
Und ein paar Stunden später wird Marchmain erschossen. Ohne
dass Flyte ein Alibi hätte. Eigentlich ein klarer
Fall.»
    Tron seufzte.
«So sieht es jedenfalls aus.»
    «Dann wirst du
wohl morgen Vormittag ein Gespräch mit ihm führen
müssen.»
    Tron zögerte mit
der Antwort. Schließlich sagte er: «Wahrscheinlich.
Aber ich will auf jeden Fall zuerst mit Peggotty reden. Um die
Sache mit Limes Unterschlagungen zu klären.»
    «Lime wäre
dir lieber, nicht wahr?»
    «Mir wären
alle lieber als Flyte», gab Tron zu. «Jedenfalls
solange er noch an den Tagebüchern arbeitet.»
    «Die neue
Übersetzung ist vorhin gebracht worden.»
    Tron setzte sich
abrupt auf. «Das teilst du mir jetzt erst
mit?»
    «Der Umschlag
hat die ganze Zeit vor deiner Nase gelegen», sagte die
Principessa. «Du hast nur die Erdbeeren und die Schale mit
der Sahne darauf abgestellt. Und zweimal Sahne
daraufgekleckert.»      
    «Hast du schon
drin gelesen?»
    Die Principessa
schüttelte den Kopf. «Ich habe den Umschlag noch nicht
einmal geöffnet.»
    Tron beugte sich nach
vorne und schob hastig die beiden Schalen zur Seite. Dann nahm er
den Umschlag vom Tisch und riss ihn auf. Wieder handelte es sich um
vier engbeschriebene Bögen in Flytes akkurater, gut lesbarer
Anglaise. Umgerechnet sechs oder sieben
Seiten gedruckter Text, dachte er. Ein bisschen wenig vielleicht,
und möglicherweise könnte man ...
    Er legte die
Tagebuchblätter auf das kleine Tischchen zurück und
schloss die Augen. Dann dachte er konzentriert nach. Hatte Flyte
nicht darauf hingewiesen, dass er hin und wieder gezwungen gewesen
war, den Text ein wenig zu flicken und zu ergänzen? Also ein
paar Konjekturen vorzunehmen? Coniectura war das lateinische
Wort für Vermutung, und Konjekturen waren, das wusste Tron,
ein völlig normaler Vorgang, wenn es um die Edition von alten
Texten ging. Und hatten Konjekturen, also Vermutungen, nicht immer
auch etwas mit Phantasie zu tun? Mit Schlussfolgerungen, die man
aus Indizien zog? Egal ob es sich um Blutspuren am Tatort oder um
Wortspuren auf einem alten Pergament handelte? Kam es denn nicht
nur darauf an, dass die ganze Geschichte am Ende ein rundes und
plausibles Bild ergab? Ein Bild, das auf keinen Fall im Widerspruch
zu den Indizien stehen durfte, das man aber durchaus etwas
ausgestalten konnte und vielleicht sogar ausgestalten musste ? Was sprach also dagegen,
überlegte Tron weiter, bei den ohnehin unvermeidbaren
Konjekturen

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