Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
aber vor allem für Bruder Edmund.«
John lehnte seine Mistgabel an die Wand. »Bruder Edmund hat meine Schulter wieder zusammengeflickt. Und er hat mit dem Pförtner geredet, damit der mich nicht entlässt«, sagte er. »Bei Gott, für den tu ich alles.«
»Dann erkläre mir genau, wo du die Puppe gefunden hast – und wann.«
»Na gut, Schwester. Es war an dem Morgen, Ihr wisst schon, als derPförtner mir und Harry gesagt hat, dass wir vor dem Schlafzimmer im Gästehaus Wache stehen und aufpassen sollen, dass niemand die Leiche anschaut. Nach einer Weile hab ich den Gang runtergeschaut, bis ganz hinter, und da hab ich was Kleines, Weißes liegen sehen. Es war die Puppe. Sah aus, als wäre sie jemandem runtergefallen. Als die Dienstmägde vorbeigekommen sind, hab ich sie gefragt, und sie haben mich gleich angefaucht und gesagt, die Puppe wär am Tag vorher nicht da gewesen. Sie hätten gründlich gefegt und gewischt und hätten sie bestimmt nicht übersehen. Also hab ich sie in meinen Kittel gestopft und später der Köchin gegeben.«
»Hast du es nicht merkwürdig gefunden?«, fragte ich.
»Was denn?«
»Dass die Puppe am Tag vorher nicht da war und an diesem Morgen plötzlich im Gang lag?«
John breitete die Hände aus. »Mein Gott, ich hab gedacht, die Mägde hätten sie übersehen. Aber ich wollte niemanden in Schwierigkeiten bringen, besonders weil gleich danach die Männer aus Rochester gekommen sind. Vor denen hatten alle Angst.«
»Ich glaube nicht, dass die Mägde sie übersehen haben, John«, sagte ich.
Er starrte mich verwirrt an. »Was sagt Ihr da, Schwester Joanna?«
»Weißt du, wo im Dorf das Haus der Westerlys ist?«, fragte ich.
»Ja. Ich leb schon mein Leben lang in Dartford.«
»Und kennst du den Vater der Kinder?«
Er zog ein Gesicht. »Stephen Westerly ist ein schwieriger Mensch, ich hab nicht viel mit ihm zu tun, aber ja, ich kenn ihn.«
Aufgeregt fasste ich ihn am Arm. »John, mach zwei Pferde fertig. Ich muss jetzt zurück ins Kloster. Aber ich komme so schnell wie möglich zurück.«
Kapitel 33
Als ich in den Kapitelsaal eilte, waren die Schwestern schon alle versammelt. Mit gesenkten Köpfen saßen sie auf den Steinbänken. Schwester Rachel stand am Lesepult und beendete gerade die Lesung aus dem Martyrologium.
Die Priorin und Schwester Eleanor, die treue Aufseherin, die neben dem Pult standen, drehten sich mit strengem Blick nach mir um.
»Verzeiht, Ehrwürdige Priorin«, sagte ich außer Atem. »Aber es ist etwas geschehen. Es ist möglich, dass –«
»Nehmt Euren Platz neben Schwester Christina ein«, unterbrach mich die Priorin.
»Aber ich muss Euch sagen –«
»Schweigt, Novizin!« Ihre dröhnende Stimme hallte von den Wänden wider.
Ich setzte mich neben Schwester Christina. Sie bemerkte die Lumpenpuppe, die ich immer noch in der Hand hielt, und schüttelte ungläubig den Kopf, als wäre ich ebenso verrückt geworden wie Schwester Winifred.
Die Priorin gab Schwester Eleanor ein Zeichen. »Beginnt«, sagte sie.
Und damit begann die Verlesung der Verstöße gegen die Ordensregeln. Eine Schwester war beobachtet worden, wie sie, offensichtlich abgelenkt, bei der Matutin lächelte statt zu singen; eine andere war während des Mitternachtsgebets eingeschlafen; eine dritte vernachlässigte die ihr zugeteilten Hausarbeiten, um dem Studium mehr Zeit widmen zu können. Bußwerke wurden von der Priorin auferlegt und von den Sünderinnen in Demut angenommen.
Mir erschien das alles unwirklich. Ich wusste, dass unsere Klostergemeinschaft auf Regeln beruhte, die vor vielen Jahren von weisen geistlichen Männern und Frauen aufgestellt worden waren. Und natürlich kam es darauf an, dass diese Regeln streng eingehalten wurden. Aber wir lebten in einer Zeit, da die Befolgung von Regeln uns nicht vor der Vernichtung retten würde. Erkannte denn das niemand außer mir?
»Und nun«, verkündete Schwester Eleanor mit einem vielsagenden Räuspern, »komme ich zu Schwester Joanna.«
Ich trat vor die Priorin und kniete nieder. Nie zuvor hatte das jemand bei einer Zurechtweisung im Kapitelsaal getan. Ich spürte die plötzliche Unruhe um mich herum.
»Ich bitte Euch, Ehrwürdige Priorin, sprechen zu dürfen«, sagte ich. »Danach will ich hören, was Schwester Eleanor zu sagen hat, und mit Freuden jede Strafe für jeden meiner Verstöße gegen die Ordensregeln auf mich nehmen.«
»Nun gut, sprecht«, forderte die Priorin mich widerstrebend auf.
Aber jetzt wusste ich
Weitere Kostenlose Bücher