Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
jemand, unverkennbar Schwester Agatha: »Gestattet Ihr, dass ich Schwester Joanna begleite, um dieses Unternehmen zu beaufsichtigen?« Schwester Agatha trat neben mich. »Ehrwürdige Priorin, ich werde jede Minute an ihrer Seite sein. Ihr könntet uns die Erlaubnis erteilen, für kurze Zeit das Kloster zu verlassen.«
Die Priorin schwieg. Ich wagte kaum zu atmen.
»Gut«, sagte sie schließlich. »Schwester Joanna und Schwester Agatha haben meine Erlaubnis, sich ins Dorf zu begeben und unseren treuen Diener John als Führer und Beschützer mitzunehmen. Aber Ihr müsst spätestens bei Einbruch der Nacht zurück sein, ganz gleich, ob Ihr die Kinder gefunden habt oder nicht.«
Ich wandte mich Schwester Agatha zu. »Danke Euch.«
Meine Pläne mussten geändert werden. Schwester Agatha hatte seit beinahe zwanzig Jahren auf keinem Pferd mehr gesessen. Dies war nicht der geeignete Zeitpunkt für eine Reitstunde. John spannte die beiden Pferde, die bereit standen, also vor einen Wagen, und wir nahmen hinten Platz. Das Dorf war so nahe, dass wir nicht viel länger brauchen würden als zu Pferd.
Während wir den Klosterweg hinaufrumpelten, zupfte Schwester Agatha nervös an ein paar Härchen, die auf ihrem Kinn sprießten. Wahrscheinlich, dachte ich, hatte sie den Klosterbezirk seit ihrem Eintritt als Novizin nicht verlassen.
»Warum habt Ihr Euch gemeldet?«, fragte ich sie.
»Hier ist mein Zuhause, Schwester Joanna. Bald werden die königlichenKommissare eintreffen. Sie werden vielleicht unser Kloster auflösen – gewiss, dann ist es wohl Gottes Wille, aber wenn wir uns irgendwie selbst helfen können, dann müssen wir das versuchen. Wenn wir beweisen können, dass Bruder Edmund dieses grausige Verbrechen nicht verübt hat, wird das vielleicht die Schließung des Klosters verhindern.«
Ich neigte mich zu ihr und umarmte sie. »Danke.«
Mit einem kleinen Brummen erwiderte sie die Umarmung.
Als wir durch die High Street von Dartford rollten, vorbei an Werkstätten und Gasthäusern, war ich von Neuem beeindruckt von der Reinlichkeit und der Ordnung im Dorf. Obwohl Dartford beileibe nicht klein war – ich hatte gehört, dass hier nahezu tausend Menschen lebten –, schienen viele Leute einander zu kennen. Lächelnd riefen sie sich über die High Street hinweg Grüße zu; vor der Gemeindekirche zur Heiligen Dreifaltigkeit standen zwei wohlbeleibte Frauen, die eine mit einem Päckchen Fisch in den Händen, und sprachen lachend miteinander.
Für uns jedoch hatte niemand ein Lächeln. Ein paar Leute winkten John zu, der vorn auf dem Bock saß, aber Schwester Agatha und ich zogen nur misstrauische Blicke auf uns. Manche Dorfbewohner blieben stehen, um unseren Wagen vorbeifahren zu sehen. John drehte sich um und sagte entschuldigend: »Es ist wegen Lord Chester. Die Leute hier reden von nichts anderem.« Die unfreundlichen Blicke brachten Schwester Agatha aus der Fassung, und einmal, als ein paar Männer uns mit finsterer Miene anstarrten, klammerte sie sich so fest an meinen Arm, dass ich den Druck ihrer Finger durch Mantel und Habit hindurch spürte.
In der Mitte des Orts, mitten auf der High Street, stand ein Kreuz, und gleich in der Nähe war die große Markthalle. Mit Getreidesäcken und Fischeimern beladene Menschen kamen heraus, eine wohlgekleidete Frau pries stolz eine Kiste Käse an. Gleich hinter der Markthalle bog John von der Hauptstraße ab, und wenig später, nachdem wir eine Reihe Fachwerkhäuser passiert hatten, lenkte er den Wagen noch einmal um eine Ecke.
Die enge Gasse, in der wir uns nun befanden, war nicht mehr so gefällig. Die Häuser wirkten weniger gediegen. Einige hatten Strohdächer,obwohl das wegen der Brandgefahr bei städtischen Häusern nicht gern gesehen wurde. Eine Hühnerschar stob vor unserem Wagen auseinander. Zwei Männer gingen vor uns die Straße hinunter. Von den Kindern war keine Spur zu sehen.
Ich tippte John auf die Schulter. »Wie weit noch?«
Er wies auf das Haus am Ende der Gasse. »Das ist es. Sie wohnen im oberen Stockwerk.«
»Warum hältst du nicht an und machst den Wagen fest, John? Wir gehen das letzte Stück zu Fuß.« Ich wollte mich dem Haus langsam nähern.
Während John sich am Straßenrand um die Pferde kümmerte, gingen Schwester Agatha und ich langsam auf das zweistöckige Fachwerkhaus zu. Auf dem steilen Giebeldach saß ein großer Schornstein. Wenigstens würden es die Kinder im Winter warm haben.
Die Eingangstür war geschlossen; vor dem Haus
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