Die letzte Schlacht
bleich, so schön. Dem Leben noch so nahe.
»Ossacer, du musst doch etwas tun können«, drängte Jhered. »Das willst du doch auch nicht.«
»Ich kann die Toten nicht erwecken«, widersprach Ossacer mit gebrochener Stimme. »Das würdest du auch nicht wollen.«
Jhered hielt inne und blickte zu Gorian. »Nein. Das will ich nicht.«
»Sie ist jetzt bei Gott«, sagte Kessian. »Beim wahren Gott.«
Jhered zog ihn noch enger an sich. »Ja, das ist wahr, Kessian. Und an diesem Tag sollten wir alle dankbar sein für diese Gnade.«
Er räusperte sich, rang um seine Fassung und seufzte schwer.
»Wir sollten zum Wall zurückkehren oder zu dem, was von ihm noch übrig ist«, sagte Arducius.
Jhered nickte. »Ja. Ja, du hast recht. Im Augenblick ist mir allerdings nichts wichtiger, als hier zu sitzen.«
»Wir müssen uns unserem Schicksal stellen. Wir Aufgestiegenen, meine ich«, fügte Arducius hinzu.
»Diesem Schicksal hat Mirron sicherlich eine neue Wendung gegeben«, sagte Jhered. »Daran müsst ihr glauben. Vielleicht eine neue Möglichkeit, akzeptiert zu werden.«
»Es spielt keine Rolle, dass Ossie und ich es glauben – natürlich glauben wir daran. Aber was ist das Richtige für die Konkordanz? Jedenfalls darf sich so etwas niemals wiederholen.«
Arducius deutete in die Runde zu den Tausenden gefallenen Toten, zum zerstörten Land jenseits des Wäldchens.
»Ich bin nicht sicher, ob wir überhaupt eine zweite Chance verdient haben.«
33
859. Zyklus Gottes,
12. Tag des Genasab
Z ehntausende stimmten in den Schrei der Frau ein. Ein entsetzliches Heulen hallte zwischen allen Mauern wider und stieg zum Himmel empor. Es war bis zur Arena und zum Hafen zu hören; von den höchsten Dächern des Palasts stieben die Vögel hoch. Der Schrei fuhr Iliev mitten durch den Kopf. Er ließ den Hammer und die Axt fallen und presste sich die Hände auf die Ohren.
Kashilli sank stöhnend auf die Knie, und sein schwerer Hammer zerschmetterte Pflastersteine, als er ihm aus den tauben Fingern glitt. Hinter ihnen sprudelte das Wasser im Brunnen, die Lebenden brüllten vor Schmerzen, und der Allwissende und Ocetarus blickten auf sie herab und segneten sie alle.
Dann ebbte das Wehklagen ab. Direkt vor Iliev ließ ein Toter die Hand sinken. Iliev starrte ihn an. Es war ein estoreanischer Bürger in mittleren Jahren, der unter dem Schimmel gute Kleidung trug. Der Mann blinzelte und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, doch es kam kein Ton heraus.
Iliev streckte die Hand aus. Der Tote jedoch schloss die Augen, als hätte er Angst und wollte seine Verwirrung niederringen, und schließlich sank er seufzend in Ilievs Arme.
»Es ist vorbei«, sagte Iliev. »Jetzt kannst du ruhen, mein Freund.«
Überall in der Stadt und im Hof des Palasts sanken die Toten zu Boden. Einige hielten sich länger auf den Beinen als die anderen, manche machten sogar noch ein paar zögernde Schritte, ehe der Allwissende sich ihnen zuwandte und sie in seine Umarmung aufnahm.
Tiefe Stille herrschte jetzt im Palast, durchbrochen nur vom Wasser, das hinter Iliev plätscherte. Er ließ den Toten zu Boden gleiten, richtete sich auf und drehte sich zu Kashilli um, dem er eine Hand auf die Schulter legte.
»Nun kommt, Trierarch. Auf die Beine.« Iliev betrachtete die drei Aufgestiegenen, Vasselis und Hesther Naravny. Yola trieb ausgestreckt im Wasser. »Was ist geschehen?«
Vasselis zuckte mit den Achseln. »Yola?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich kann es nicht erklären.«
»Aber warum hast du dann geschrien, Kleine?«, fragte Kashilli. »Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Also …«
»Du bist zu bescheiden«, sagte Hesther. »Sieh nur, was du getan hast.«
Yola richtete sich auf und strich mit den Händen durch ihre Haare. »Du verstehst es nicht. Ich habe gar nichts getan. Ich war noch nicht bereit, das Werk freizugeben, doch auf einmal spürte ich etwas, das von allen Seiten kam. Es kam durch den Boden und lief durch alle Toten. Ich dachte, das wäre unser aller Ende. Deshalb habe ich geschrien.«
Iliev lachte. »Eine durchaus vernünftige Reaktion, meine junge Yola.«
»Wahrscheinlich das Beste, was überhaupt geschehen konnte«, schaltete sich Vasselis ein. »Denn wenn die Toten gestürzt sind, nachdem etwas durch die Bahnen unter der Erde kam, dann ist Gorian möglicherweise besiegt. Unsere Aufgestiegenen, die wahren Aufgestiegenen, haben ihn besiegt.«
»Tot?«, fragte Hesther.
»Wir können nur hoffen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher