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Die letzte Schoepfung

Die letzte Schoepfung

Titel: Die letzte Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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1.
    Ethan Decker hieß den Schmerz willkommen.
    Er überflutete ihn wie die Hitze, die über dem Wüstenboden waberte. Mit geschlossenen Augen, den Kopf an die Wohnwagentür gelehnt, saß er auf den dünnen Aluminiumstufen seines Trailers und wartete, dass der Schwindel aufhörte und die einsame Landschaft sich nicht mehr um ihn drehte. Mit der Zeit würde der Wüste gelingen, was seine Feinde nicht geschafft hatten: Eines Tages würde sie ihn umbringen.
    Aber nicht heute – leider.
    Letzte Nacht hatte Ethan wieder einen Fehler gemacht. Der Versuch, die Erinnerung an den verfluchten Jahrestag mit einer Flasche Jack Daniels auszulöschen, hatte nicht geklappt. Der bohrende Schmerz in seinem Schädel war zu einem schwarzen Engel geworden, der nun quälend auf seiner Schulter saß und ihn daran erinnerte, dass er immer noch am Leben war.
    Die Hitze nahm zu. Ethan sehnte sich nach einer frischen Meeresbrise, nach dem würzigen Geruch feuchter Kiefern in den Bergen. Stattdessen spürte er unter dem grün-weißen, zerfledderten Vordach der Blechbüchse, die er sein Zuhause nannte, die trockene, heiße Hand der Wüste von New Mexico. Wenn man den Schmerz Ethans Engel nennen konnte, war die Wüstenhitze seine unwillkommene Geliebte geworden, die ihn in ihre glühend heißen Arme schloss.
    Etwas Besseres verdiente er auch nicht. Gestern vor drei Jahren war sein fünfjähriger Sohn ermordet worden. Und die Rolle, die er bei diesem sinnlosen Tod gespielt hatte, konnten weder der Jack Daniels noch die Wüste auslöschen.
    Er machte die Augen auf und blinzelte in die Sonne. Sie stand hoch über dem westlichen Horizont, eine glühende weiße Scheibe, deren Hitze durch einen staubigen Himmel stach. Mit zitternden Händen hob er eine Tasse lauwarmen Kaffee an die Lippen und zwang sich, das bittere Gebräu zu schlucken. Es wäre besser gewesen, Ethan hätte einen Bissen zu sich genommen, aber er konnte sich nicht überwinden, in den stickigen Wohnwagen zu gehen. Beim bloßen Gedanken daran wurde ihm wieder übel. Er würde später essen, bevor er sich auf den Weg in die Wüste machte.
    Oder sollte er heute Nacht nicht gehen? Was machte es aus, wenn er es ein einziges Mal nicht tat? Er konnte sich unter dem Licht von einer Million Sterne auf dem Wüstenboden ausstrecken und schlafen…
    Ethan schauerte und stürzte einen Schluck Kaffee hinunter.
    Er machte sich nichts vor. Im Schlaf gab es keine Flucht, ebenso wenig wie mit einer Flasche Jack Daniels. Der Schlaf brachte die Gesichter. In seinen Träumen verfolgte ihn die schmerzliche Anklage in kleinen verängstigten Augen. Kinderaugen. Sie starrten ihn an, stellten Fragen, auf die es keine Antworten gab, verdammten ihn stumm. Nein, er konnte nicht hier bleiben und schlafen wie andere Menschen. Dieses Recht hatte er verwirkt, als Nicky gestorben war.
    Wie immer würde Ethan mithilfe eines Rituals Vergessen suchen, das seit drei Jahren den Ablauf seiner Nächte bestimmte. Von Sonnenuntergang bis zum Anbruch der Dämmerung vollführte er die Bewegungsmeditation des Tai Chi. Diese Übungen versprachen das Gleichgewicht, das er verloren hatte, und den Frieden, den er bis jetzt nicht hatte finden können. Und die Anstrengung der Übungen machte ihn müde und erschöpfte ihn so sehr, dass er danach in tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
    In der Ferne wirbelte Staub von der Landstraße empor und lenkte Ethan von seinem Albtraum ab. Gleich würde er Gesellschaft bekommen. Das Fahrzeug, das sich näherte, war noch fünf oder sechs Kilometer entfernt, doch Ethan hatte keinen Zweifel, dass der Besuch ihm galt. Diese armselige Straße führte nur zu einem einzigen Ort – hierher.
    Die Frage, wer sich die Mühe machte, ihn an diesem gottverlassenen Flecken aufzusuchen, interessierte Ethan nur am Rande. Sicher war es keiner von den Einheimischen. Ethan fuhr selten in die Stadt, eigentlich nur um einzukaufen, und dann redete er mit niemandem. Doch von der letzten Nacht fehlten ihm ein paar Stunden, in denen der Jack Daniels das Kommando übernommen hatte.
    Er versuchte sich zu erinnern, was er getan, ob er vielleicht mit jemand gesprochen hatte. Er war gegen neun Uhr in die Stadt gekommen, hatte sich etwas zu essen bestellt und die Mahlzeit mit ein paar Bier heruntergespült. Danach hatte er sich an den Jack Daniels gehalten, und von da an war die Erinnerung verschwommen. Ethan wusste nur noch, dass er in seinem Bett wieder zu sich gekommen war und die heiße Sonne New Mexicos ihm in die Augen

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