Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf

Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf

Titel: Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
Vom Netzwerk:
verschiedenen übereinanderliegenden Stoffschichten und schließlich fand er in das Kleid hinein. Wenigstens ein Problem war gelöst.
    Der Drache glaubte, sich zu erinnern, dass bei den Menschen Männer nie, unter gar keinen Umständen, weiße Kleider voller Spitzen, Stickereien und Rüschen tragen und dass Frauen sie auch nur an einem Tag in ihrem Leben tragen, nämlich am Tag ihrer Hochzeit, aber da ihm das nicht wichtig erschien, beschloss er, darüber hinwegzugehen. Drachen kommen nackt auf die Welt und nackt bleiben sie bis ans Ende ihrer Tage. Die komplizierten Kleiderregeln der Menschen waren wohl irgendwo in den verschiedenen Schichten seines Gedächtnisses gespeichert, aber wie überflüssiger Firlefanz, wie eine verrückte und unsinnige Tradition, nichts, was es wert wäre, darüber eine Diskussion anzuzetteln.

KAPITEL 11
    N icht dass Robi wirklich hätte lesen können.
    Nicht dass Lesen wirklich verboten gewesen wäre.
    Tracarna und Stramazzo konnten es. Mit unendlicher Würde, in Wahrheit aber mit maßloser Überheblichkeit verlasen sie, nachdem sie sich aufgeplustert hatten wie die Truthähne, die wenigen Briefe aus Daligar, die bei ihnen eintrafen. Für all jene, die nicht direkt mit der Verwaltung von Daligar zu tun hatten, war Lesen, wie soll man sagen, nicht empfehlenswert, vielleicht wäre es korrekter zu sagen, nicht ratsam: eine verdächtige Fähigkeit. In Arstrid, wo Robi geboren war, konnte man ein wenig lesen, und es gab auch eine Art Schule. Arstrid war ein reizendes kleines Dörfchen, buchstäblich eingekeilt zwischen Essbarem. Auf der einen Seite waren die Forellen aus dem Fluss, auf der anderen die Äpfel aus dem Garten. Dazwischen lagen Gärten mit Hühnern, dahinter die Wiesen mit Kühen, was Milch bedeutete und später Butter.
    Wenn es keine Forellen zu fangen gab, keine Äpfel zu ernten, keine Kühe zu melken und keine Zäune zu reparieren, das heißt zweimal im Jahr, trommelte der Dorfälteste die Kinder zusammen und versuchte, ihnen ohne irgendeine Methode, sprunghaft und chaotisch das Alphabet beizubringen, was sein ganzer Wissensschatz war. Der Unterricht ging unter dem Gelächter der Kinder und den komischen Grimassen des Dorfältesten vonstatten, bis irgendwann das Gezeter der Mütter dem Ganzen ein Ende bereitete, sie kamen ihren Nachwuchs holen, um ihn zum Kühemelken oder zur Apfelernte zu schicken. Oder zum Forellenräuchern. Oder die Reben hochbinden, damit die Trauben gut trockneten und zu Rosinen würden, die man im Winter in den Honigkuchen geben konnte.
    Die Kenntnis der Buchstaben rührte bei dem Dorfältesten von der Begegnung mit einer mysteriösen und legendären Persönlichkeit mit unaussprechlichem Namen her, die sich vor Jahren in Arstrid aufgehalten hatte und der Dorfgemeinschaft den sagenhaften Räucherkessel hinterlassen hatte.
    Von diesem absurden Unterricht hatte Robi die vier Buchstaben ihres Namens behalten: ROBI.
    R wie Rose: Rosenblätter konnte man in Honig tunken und Süßigkeiten daraus machen.
    O wie Omelett: Zum letzten Mal hatten sie welches gegessen, bevor die Soldaten von Daligar wie die hungrigen Wölfe über sie hergefallen waren und alles von ihnen verlangt hatten, was sie besaßen, und auch das, was sie nicht besaßen, wegen einer undurchsichtigen Geschichte mit angeblichen Steuerschulden. Das war im letzten Sommer gewesen. Im Winter darauf war das Dorf zerstört und ihre Eltern verhaftet worden. Nein, die Reihenfolge war umgekehrt, ihre Eltern verhaftet und dann das Dorf zerstört, aber das war schon, nachdem sie ins Waisenhaus gekommen war. Sie hatte es erfahren, weil Tracarna es ihr erzählte. In jenem Sommer waren Soldaten gekommen und hatten alle möglichen Dinge verlangt: Getreide, das sie nicht hatten, eine Unmenge geräucherter Forellen, die sie in einem ganzen Jahr nicht zusammenbrachten, für die Grafschaft und ihren Verwaltungsrichter. Der Dorfälteste war nicht da, er war im Jahr zuvor, kurz nach der Hochzeit seiner Tochter, gestorben, sodass ihr Vater Monser den Soldaten entgegengetreten war; er hatte gesagt, sie hätten von der Grafschaft Daligar nie etwas bekommen und sie schuldeten ihr nichts, und er hatte hinzugesetzt, in jedem Fall könne man von den Menschen nur einen Teil dessen verlangen, was sie besitzen, nicht aber alles oder mehr, als sie je besessen haben. Da war einer dieser Soldaten vorgetreten, ein großer, aufgeblasener Kerl mit dichtem weißem Bart, hatte ihrem Vater und ihrer Mutter direkt ins Gesicht geschaut

Weitere Kostenlose Bücher