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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed Stuhler
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drunterzuschreiben: ›Erhalten, de Maizière‹.«
      Lothar de Maizière findet in seinem neuen Dienstzimmer einen riesigen eingebauten Panzerschrank, darin allerdings nur zwei dünne Mappen mit unerledigten Vorgängen. Der eine: Anträge hoher SED-Funktionäre und ehemaliger »Kundschafter des Friedens«, so nannte die Stasi ihre Auslandsspione, zum Kauf ihrer Häuser, die, idyllisch irgendwo an Berliner Gewässern gelegen, bisher kostenlos genutzt wurden.
      Bei dem zweiten Vorgang handelt es sich um eine ausstehende Zahlung der Bundesrepublik Deutschland für einen Häftlingsfreikau f. Honecker hatte eine Anzahl Gefangener aus Bautzen in die Bundesrepublik entlassen. Die Freikäufe erfolgten nicht in Bargeld, sondern in Industriegütern und der Gegenwert stand noch aus: Etwa
    1000 VW-Busse und 10 000 Stahlrohre von Krupp für den Bau der Erdgastrasse. Amtsminister Reichenbach nimmt Rücksprache mit Hans Modrow, der diese Praxis des Freikaufens von Gefangenen verurteilt. Auf das Einfordern der Zahlung wird verzichtet.

    12.4.1990, Volkskammer, Ex-Premier Hans Modrow (l.) gratuliert seinem Amtsnachfolger Lothar de Maizière.

    Im Amt des Ministerpräsidenten mit seinen nachgeordneten Einrichtungen gibt es insgesamt 4500 Beschäftigte. 700 davon warten auf einer Belegschaftsversammlung – die Lothar Moritz, der Staatssekretär für die inneren Abläufe des Hauses, einberufen hat – im großen Bärensaal gespannt auf ihren neuen Chef: »Ich sah ihnen an, dass sie total verunsichert waren, was wird nun. Und dann habe ich ihnen gesagt: ›Meine Damen und Herren, ich weiß, dass ich derjenige bin, den Sie sich nicht gewünscht haben, aber wir müssen respektieren, was der Wähler gewollt hat. Und ich mache Ihnen einen Vorschlag. Vor zwei Jahren hatten wir in Berlin den Kirchentag unter dem Motto: Vertrauen ist immer ein Wagnis! Ich gehe die ses Wagnis ein, ich gebe Ihnen Vertrauen. Und wer glaubt, nicht mit mir arbeiten zu können, der kann sich gleich bei Herrn Dr. Moritz melden, und dann versuchen wir, für ihn eine sozial verträgliche Lösung zu finden. Von den restlichen Leuten aber erwarte ich Fleiß, Loyalität und Kompetenz. Und jetzt machen wir uns an die Arbeit!‹ Ein Aufatmen ging durch den Saal und mehrheitlich Hochachtung bis zum 2. Oktober.«
      Seinen Kabinettsmitgliedern gibt de Maizière die Empfehlung, ebenfalls auf die Loyalität der Mitarbeiter zu setzen. Nicht alle können und wollen sich daran halten. Dazu kommt, dass die einzelnen Ressorts ja auch sehr unterschiedlich in ihrer politischen Relevanz sind.
      Markus Meckel findet im Außenministerium einen riesigen Mitarbeiterstab vor: »Ich bin in dieses Haus nur mit zwei wirklichen Vertrauten gegangen, dem langjährigen Freund Hans Misselwitz, der dann Parlamentarischer Staatssekretär wurde, und mit Carl Christian von Braunmühl, einem auch langjährigen Freund, den ich durch die Friedensarbeit kennengelernt hatte. Ich ging in das Haus, dem ich nicht vertraute. Das Misstrauen kam einfach daher, dass natürlich klar war, dass der gesamte diplomatische Apparat Teil des kommunistischen Herrschaftsapparates war – und natürlich auch dessen Zielen diente. Ich habe also eine Reihe von den Ministerstellvertretern erst mal sofort entlassen und überhaupt diese Ebene der Stellvertreter abgeschafft, auch Abteilungsleiter ausgewechselt, aber auch schon da wurde es schwierig. Ich hatte ja keinen Ersatz.«
      Dieses Problem, vertrauenswürdige und unbelastete Mitarbeiter zu finden, haben einige der Kabinettsmitglieder. Das personelle Reservoir ist ungeheuer dünn.
      »Ich habe dann versucht, so einen Zirkel von Vertrauten, eine Beratergruppe, aufzubauen. Ich war mir bewusst, wirklich auf ganz, ganz dünnem Eis zu gehen, weil man sich auf niemanden so richtig verlassen konnte. Es sind auch zahlreiche Fehler passiert. Eine solche Administration aufzubauen, mit funktionierenden Kommunikationsstrukturen, das hat eigentlich die ganze Zeit nicht wirklich geklappt und war ein großes Handicap.«
      »Manche von meinen Ministerkollegen«, sagt de Maizière, »sind in die Häuser reingegangen und haben gesagt: ›Also ihr seid eigentlich alle alte Lumpen, aber ich komme ohne euch nicht aus.‹ Die hat ten es schwer in diesem Haus. Aber ich muss sagen, das diplomatische Korps war bis zum Schluss loyal.«
      Die meisten Mitarbeiter in allen Ministerien waren natürlich Mitglieder der SED. Deswegen betreiben sie jedoch keine

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