Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Destruktions
Karl-Hermann Steinberg, Minister für
Umwelt, Naturschutz, Energie und
Reaktorsicherheit
Emil Schnell, Minister für Post- und Fernmeldewesen
politik. Die Leute, die zum Beispiel im Energieministerium arbeiten, sind daran interessiert, dass der Strom weiterfließt, und die im Landwirtschaftsministerium, dass es mit Ackerbau und Viehzucht gut weitergeht. Denen liegt ihr Fachgebiet mehr am Herzen als ihre Parteizugehörigkeit.
Karl-Hermann Steinberg findet in seinem Umweltministerium
350 Mitarbeiter vor, exzellente Fachleute für Wasserwirtschaft und im Naturschutzbereich; allerdings auch eine gewisse Anzahl, die politische Funktionen haben. Von denen trennt er sich schnell; es sind maximal zehn Prozent.
Postminister Emil Schnell denkt sich eine exotische Variante aus. Bei allen 130000 Beschäftigten seines Zuständigkeitsbereiches führt er eine Befragung durch. Auf Versammlungen müssen die Leiter darstellen, wie sie bisher gearbeitet und welche Pläne sie für die Zukunft haben, welche Veränderungen in Richtung Führungsstruktur, Führungsverhalten und Demokratisierung sie beabsichtigen. Anschließend müssen die Versammlungsteilnehmer auf einem Zettel Ja oder Nein ankreuzen, auf dem nur ein Satz steht: Leiter sowieso hat mein Vertrauen.
Zwanzig Prozent, das sind 26000 Menschen, bekommen ein Nein und werden auf untergeordnete Posten umgesetzt oder entlassen.
Regierungssprecher Matthias Gehler: »Es gab immer mal wieder die Äußerung, wir wären alle viel zu freundlich, und wir würden schon noch sehen, was wir davon hätten. Aber das war vielleicht unser Markenzeichen. Also es war eine neue Art, miteinander umzugehen, die erst Fuß fassen musste. Und ich hatte den Eindruck, dass die Mitarbeiter sehr loyal zu uns waren, wirklich sehr loyal, und darauf hat man auch bauen können.
Ich hatte etwa 180 Mitarbeiter im Amt des Regierungssprechers, im Bundespresseamt waren es 750. Und diese 180 Mitarbeiter haben sich so eingesetzt, dass eigentlich diese personelle Lücke, denn die haben ja miteinander verhandelt, nicht zu spüren war. Also die Leute haben ganz kräftig gearbeitet.«
Gehlers erster Besuch im Amt des Ministerpräsidenten ist ihm als besonderes Erlebnis in Erinnerung geblieben. Der ungediente Pressesprecher trifft im Eingang auf den Objektschutz: »Da standen Wachposten in Uniform, und die schlugen dann die Hacken zusammen und meldeten: ›Keine besonderen Vorkommnisse!‹ Und ich habe ›Guten Tag!‹ gesagt. Und damit wussten die nichts anzufangen und standen regungslos mir gegenüber. Eine Minute Schweigen! Und dann habe ich einfach erst mal gesagt: ›Rühren!‹ Da waren die richtig erleichtert. Die Situation war gerettet, und ich habe ihnen gesagt: ›Kommen Sie bitte ab morgen im Anzug und sagen Sie Guten Tag!‹ Und am nächsten Tag kamen sie im Anzug und haben ›Guten Tag‹ gesagt.«
Innenminister Diestel hat ein ähnliches Starterlebnis. An seinem ersten Arbeitstag wird er mit einem gepanzerten Citroën in das Ministerium gefahren: »Die Scheiben waren vier bis fünf Zentimeter dick, da guckte man wie durch ein Aquarium. Das waren die Dienstwagen von dem vorherigen Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker. Ich kann mich erinnern, als ich da in den riesigen Ministertrakt hineingekommen bin, dass da sofort im Vorzimmer des Ministers eine zivil gekleidete Frau aufsprang von ihrem Stuhl, die Hacken zusammengenommen und mich militärisch begrüßt hat. Hab mich richtig erschrocken. Das war für mich, als Gefreiter der Reserve, zweimal degradiert, eine völlig unerwartete und ganz ei
Peter-Michael Diestel, Innenminister
gentümliche Situation. Ich habe ihr dann die Hand gegeben, höflich und freundlich, und sie gebeten, sitzen zu bleiben.
In meinem Ministerzimmer saß der ehemalige Innenminister Generalleutnant Lothar Ahrendt. Ein ganz sympathischer Mann, auch in Zivil – ein General in Zivil sieht ja immer eigenartig aus. Die sehen aus wie reingeborgt in diese Klamotten. Ich habe dann ein längeres Gespräch mit meinem Amtsvorgänger geführt. Parallel dazu saß in einem Separee zum Innenministerzimmer das ganze Kollegium, so zehn oder zwölf Generäle, die warteten schon Stunden auf mich. Ich habe diesem Herrn Ahrendt für seine bisherige Arbeit gedankt, habe ihn gebeten, mir zu helfen in der Zeit, die jetzt kommt. Und da war er sehr spröde, abweisend und nachdenklich. Ich sagte: ›Herr Ahrendt, es geht nicht anders, Sie müssen mir
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