Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
geschehen.«
Ebeling führt auch einen neuen Arbeitsstil ein: »Es war ja in der DDR immer so, dass der Minister vorn an der Stirnseite saß, dann kam ein langer Tisch, rechts und links Stühle, er saß dort vorne als alleiniger König. Und damit bin ich nun auch wieder ins Fettnäpfchen getreten. Ich habe also diese Tischplatte sofort aus meinem Zimmer rausschaffen lassen, wie auch aus dem Beratungszimmer, und habe einen runden Tisch aufstellen lassen, so dass wir alle im Kreis saßen. Das war also für die DDR-Mitarbeiter unvorstellbar. Diese Angst vor den Ministern, vor diesen führenden Politikern, saß so tie f. Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen. Und ich habe mal in einer Ansprache aus Anlass eines Geburtstages von Mitarbeitern gesagt: ›Wir sind nackt in die Welt gekommen, wir gehen nackt aus der Welt heraus und so, wie Sie sich in dieser Phase benehmen im Verhalten zu Ihren Mitmenschen, wird es Ihnen einmal angerechnet werden!‹ Gut, ich bin Pfarrer und wollte das also auch mit in diesen politischen Bereich einbringen.«
4. Die g roße Umarmung
»Wir waren schließlich eine eigenständige Regierung!«
Gabriele Muschter
Von Anfang an steht vor der Regierung de Maizière die Aufgabe, den Prozess der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, egal wie lange er dauert, so zu gestalten, dass die beiden unterschiedlichen Systeme kompatibel werden. Der Premier schneidet sein Kabinett, bis auf kleine Ausnahmen, die den politischen Besonderheiten des DDR-Systems geschuldet sind, dabei so, dass es dem der Bundesrepublik entspricht, um die direkten Gespräche zwischen den einzelnen Ressorts zu ermöglichen.
Die westdeutsche Seite entsendet Berater in alle Bereiche, oft Juristen, die bei der korrekten Abfassung der zahlreichen neuen Gesetze helfen sollen. Die Erfahrungen mit diesen Beratern schildern die Regierungsmitglieder recht unterschiedlich.
Lothar de Maizière bildet in seinem Haus Tandems, wie er es nennt, belässt aber die Entscheidungsbefugnis und die Leitungsverantwortung beim jeweiligen DDR-Bürger. Zum Beispiel beschäftigt er in seinem Büro einen Mann, der früher Büroleiter beim früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler war und daher über ein enormes Maß an Erfahrung im Umgang mit westlichen Pressemedien verfügt: Fritz Holzwarth. Aber er ist Berater. Er ist nicht derjenige, der die eigentliche Verantwortung hat: »Und das Merkwürdige war, diese westlichen Berater, sozusagen um nicht in den Verdacht der Voreingenommenheit für den Westen zu geraten, waren zum Schluss die besseren Ossis. Sie wollten also auf keinen Fall in den Ruf geraten, nun die Sache bei den Verhandlungen als Gegenüber zu betreiben. Insofern haben sie sich bemüht, sich sehr, sehr schnell in die östlichen Probleme und die Ostdenke einzufühlen. Wenn ich daran
Jürgen Kleditzsch, Minister für Gesundheitswesen
denke, als ich meinen Vetter Thomas damals dahatte: Das war schon manchmal zum Lachen, wie er plötzlich zum Beispiel die Datschenregelung vertrat, weil ich ihm gesagt hatte: ›Pass auf, Thomas, wir müssen sehen, wie wir die Datschen vor dem Zugriff der Rückgabe schützen; denn da steckt zum Teil die halbe Lebensleistung der Ostdeutschen drin in den paar Brettern, die sie geklaut haben, und der Dachpappe, die sie mühselig ergattert haben!‹ Also diese Legende, wir wären von den westlichen Beratern ferngesteuert gewesen, die weise ich doch ziemlich entschieden, zumindest was mein Haus angeht, von mir.«
»Das waren sehr nette Kollegen mit einem hohen Sachverstand, die uns da zur Seite standen«, sagt Gesundheitsminister Jürgen Kleditzsch. »Das waren teilweise Ärzte, es waren aber auch teilweise Politiker und Juristen. Das hat uns unheimlich geholfen. Aber es gab ja unzählige Berater, die in die einzelnen Regionen des Landes gingen und dort natürlich ihre Erkenntnisse einbrachten und sagten: ›Nur so dürft ihr es machen‹ oder ›Nur so geht es‹. Man hat
Thomas de Maizière, 1989 Pressesprecher der CDU-Fraktion des West-Berliner Abgeordnetenhauses, später verschiedene Ministerämter in Sachsen, seit Oktober 2009 Innenminister der Bundesrepublik.
also nicht versucht zu prüfen, was man an Positivem gemeinsam führen und entwickeln kann, sondern es wurde gesagt: ›So geht das nicht mehr, und so wird das ab jetzt gemacht!‹ Das ging natürlich hinter unserem Rücken, und das ist ein Problem gewesen. Das hat mich beschäftigt. Hinter unserem Rücken, wie wir
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