Die letzten Städte der Erde
einer geschlossenen Tür endete. Sie sah zu, wie die Wächter ihr Gepäck an ihr vorbei in diesen kurzen Korridor stießen, und als sie selbst sich nicht bewegte, packte sie der Chefaufseher am Arm und schob sie durch den Bogengang, blieb selbst aber draußen. »Warten Sie!« schrie sie. »Warten Sie!« Aber niemand wartete und niemand kümmerte sich darum. Die Tür ging zu. Sie weinte, schlug mit den Fäusten gegen die geschlossene Tür, trat auch dagegen und tat es sicherheitshalber gleich noch einmal, versuchte es dann schließlich mit der Tür am anderen Ende des Gangs, drückte den einzigen Türgriff, den sie hatte und der ihr den Weg in ein funktionell eingerichtetes Ein-Raum-Apartment freigab, teilweise aus Ziegelstein und teilweise aus Stahl, mit einem Bett, das nicht bequem aussah und nur eine dünne Matratze besaß. Das Bad war wenigstens von dem einen Raum abgetrennt, ein Fenster gab es, eine Wandkonsole; auf der Stelle drückte sie panisch auf die Knöpfe darauf, aber sie blieb tot, völlig tot. Tränen strömten ihr übers Gesicht, und sie wischte sie mit dem Handrücken weg und schniefte, denn es war ja auch niemand da, der dieses erbärmliche Verhalten hätte sehen können.
Daraufhin trat sie ans Fenster und blickte hinaus, sah den Hof und die Wärter, die sie gebracht hatten, wie sie jetzt wieder zu den Toren gingen; und die Tore öffneten sich zum Fluß hin und schlossen sich wieder.
Furcht überfiel sie, der Schrecken, daß sie vielleicht allein war an diesem Ort und die Steine und die Maschinen möglicherweise alles, was es hier gab. Sie rannte zur Konsole und drückte auf die Knöpfe und flehte, aber es erfolgte keine Reaktion; dann hatte sie Angst, daß die Apartmenttür vielleicht von selbst zuginge. Sie eilte hinaus in den kurzen Gang und zerrte ihre drei Schachteln ins Zimmer, setzte sich auf die dünne Matratze und weinte.
Der Vorrat an Tränen erschöpfte sich mit der Zeit; sie hatte sehr viel geweint, und es hatte nicht geholfen, und so saß sie da mit den Händen im Schoß und hoffte ernsthaft, daß Bildschirm und Telephon zum Leben erwachten und es Richard sein würde, Seine Ehren Richard Collier, der Bürgermeister, um ihr zu sagen, daß er ihr nun genug Angst eingejagt hatte, und das hatte er wirklich.
Der Bildschirm blieb jedoch dunkel. Schließlich schniefte sie wieder und wischte sich die Augen und erkannte, daß sie zumindest – zumindest eine kurze Weile doch bleiben würde. Sie holte ihre Kleider aus den Schachteln und hängte sie auf; breitete ihre Magazine und Bücher aus, ihr Strickzeug und ihre Näharbeit, den Schmuck und die Kosmetiksachen und all die Dinge, die sie eingepackt hatte... Wenigstens hatten sie sie packen lassen. Sie ging ins Bad und setzte sich und frischte ihr Makeup auf, malte sich ein völlig unbekümmertes Gesicht auf und fand in dieser profanen Handlung ein wenig Trost.
Sie war nicht die Art von Person, die normalerweise in den Tower gesteckt wurde; sie war nur ein Mädchen (wenn auch dreißig), die Geliebte des Bürgermeisters. Sie war die einfache Bettine Maunfry. Die Ehefrau Seiner Ehren wußte von ihr und hatte nichts dagegen; es konnte einfach nicht sein, daß Marge sich gegen sie gewandt hatte; sie war nicht die erste Geliebte Seiner Ehren und nicht einmal zur Zeit seine einzige. Richard war eifersüchtig, sonst nichts, zornig, weil er herausgefunden hatte, daß es noch jemand gegeben hatte, und er besaß Macht und benutzte sie, um ihr Angst zu machen. So mußte es sein. Richard hatte noch andere Geliebte und eine Ehefrau und besaß keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Aber er war es, und obendrein war er nachtragend. Und weil er ein wichtiger Mann war und sie niemand, hatte sie jetzt mehr Angst als je zuvor in ihrem Leben.
Der Tower war für die gefährlichen Kriminellen da. Aber Richard hatte das tun, sich das erlauben können, wovon sie nie zu träumen gewagt hätte; es war ein allzu grausamer Scherz. Er verfügte über enorme Macht, und die Richter taten, was er wollte; oder er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ein Gericht einzuschalten.
Wieder rollten die Tränen, und sie schniefte und starrte ohne zu blinzeln auf ihr Spiegelbild, bis die Tränen versiegten. Ihr Gesicht war ihre Abwehrmauer, ihre Schönheit ihr Schutz. Sie hatte sich stets darauf verstanden, anderen zu gefallen. Ihr ganzes Leben hatte sie daran gearbeitet. Sie hatte gelernt, daß darin Macht lag, von den Tagen an, als sie ein kleines Mädchen gewesen war; daß
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