Die letzten Tage
mir geschah. Ich wollte so oft wie möglich mit ihr zusammen sein und ignorierte die Gefahr, in die ich uns mit meinem Verhalten brachte. Ich …“ Seufzend fuhr er sich durchs Haar. „Nun, den Rest kennst du ja, daher nur die Kurzfassung: Ich wurde aus dem Elysium verbannt, verlor meine Frau und mein Kind und lebe seitdem als gefallener Engel – noch dazu ohne Flügel – auf Erden, zuletzt in einer schäbigen alten Lagerhalle am Ufer des Tibers.“
„Aber deine Fähigkeiten hat man dir gelassen?“
„Zumindest die meisten davon“, entgegnete er düster. „Es stimmt, ich bin schneller und stärker als jeder Mensch, und ich kann Dinge hören und sehen, die für dich nicht wahrnehmbar sind. Es ist der Atem Gottes, der jedem Angelus eingehaucht wird, der mir diese Kräfte verleiht. Solange ich ihn in mir trage, kann ich zum Beispiel in fremde Gedanken eindringen und sie manchmal sogar manipulieren, aber ich bin nicht unbesiegbar – und schon gar nicht unverwundbar. Ich kann genauso sterben wie ihr Menschen, zumindest durch äußere Einflüsse.“
Grazia schluckte.
„Kannst du ihn denn verlieren?“, fragte sie. „Den Atem Gottes, meine ich?“
„Nicht verlieren“, erklärte er. „Aber ich kann ihn jemandem schenken und ihn damit vor dem Tod bewahren.“ Seufzend verschränkte er die Arme hinter dem Kopf. „Einmal hätte ich es getan, damals bei Merle und Tobias. Ich hätte mich für einen von beiden entscheiden müssen, aber ich hatte ohnehin keine Chance. Das Feuer hatte ihre Körper bereits zerstört.“
„Sonst hättest du einen von ihnen also retten können?“
Er nickte. „Ja – um den Preis, dass ich danach ein ganz normaler Mensch mit begrenzter Lebensdauer gewesen wäre.“
Grazia wandte den Blick ab. Sie schämte sich dafür, fast ein bisschen froh darüber zu sein, dass er es damals nicht getan hatte.
Denn dann wären sie sich niemals begegnet.
7. KAPITEL
Als Grazia am nächsten Morgen von den ersten goldenen Sonnenstrahlen, die durch ihr Schlafzimmerfenster fielen, geweckt wurde, fand sie das Bett neben sich verlassen vor.
Zack war fort – aber was hatte sie auch anderes erwartet? Dass sie neben ihm aufwachen und seinem ruhigen Atem lauschen würde? Was war sie bloß für eine Träumerin!
Rasch rollte sie sich von der Matratze, ehe das Gefühl der Leere, das sich bereits in ihr ausbreitete, vollends Besitz von ihr ergreifen konnte.
Zack war ihr gegenüber zu nichts verpflichtet. Das, was letzte Nacht zwischen ihnen vorgefallen war, hatte sie ebenso gewollt wie er. Trotzdem durfte sie jetzt nicht zu viel erwarten. Schließlich hatte sie genau gewusst, worauf sie sich einließ, als sie …
Nein – überhaupt nichts hatte sie gewusst! Wenn ihr jemand vor ein paar Tagen erzählt hätte, dass ausgerechnet sie einem Engel begegnen würde, sie hätte denjenigen wohl lauthals ausgelacht.
Und nun hatte sie sogar mit einem geschlafen.
Sie ging ins Bad, in der Hoffnung, eine eiskalte Dusche würde ihr dabei helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Doch es funktionierte nicht.
Aufstöhnend fuhr sie sich mit beiden Händen durchs noch feuchte Haar, als sie ein paar Minuten später vor dem großen Spiegel über dem Waschbecken stand. Sie war sich nicht sicher, ob sie die junge Frau, die ihr da entgegenblickte, überhaupt noch kannte.
Was war bloß mit ihr passiert? Wie war sie in diese merkwürdige Geschichte hineingeraten? Sie war sich nicht mehr sicher, was sie noch glauben, was sie noch denken sollte. Alles war völlig durcheinandergeraten, von einem Tag auf den anderen stand ihre Welt vollkommen Kopf.
Zack – ein Engel, der einfach so vom Himmel gefallen zu sein schien – wollte von ihr, dass sie ihm dabei half, das Ende der Welt zu verhindern. Und das Verrückteste daran war, dass sie ihm glaubte.
Sie spürte einfach, dass er die Wahrheit sagte. Nicht nur über das, was er war. Im Grunde hatte sie schon gewusst, dass etwas geschehen würde, ehe sie ihm überhaupt begegnet war. Genügend Anzeichen hatte es schließlich gegeben. All die seltsamen Naturphänomene, die plötzlich geballt auf der ganzen Welt auftraten, und das gesteigerte Aggressionspotenzial der Menschen überall.
Es lag etwas in der Luft. Etwas Bedrohliches. Und außerdem hatte sie den Dämon, von dem Patrizia und sie angegriffen worden waren, ja mit eigenen Augen gesehen.
Auch wenn sie es sich noch so sehr wünschte, das war keine Einbildung gewesen!
Als Grazia aus dem Badezimmer kam, fiel ihr Blick auf
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