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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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ausgegangen sind?«
    Nein, das wußte sie nicht. Aber was sollte ihr dieses Wissen auch hier nützen, wo es weder Eier noch Bügeleisen und am allerwenigsten Gardinenschnüre gab?
    Was es nützen sollte? Nun, wer solche Tricks beherrschte, der fand sich auch in anderen Lagen zurecht. Aber sie konnte und verstand nichts, weniger als nichts, überhaupt nichts! Und sie wagte es, mit nichts anderem als purem Unwissen und einer geradezu sagenhaften Ignoranz ausgestattet, mit zwei Männern auf Faltbootfahrt zu gehen!
    »Ich konnte es wagen«, antwortete Marion wie erstarrt, »weil diese Männer Kavaliere waren! Weil sie nicht so ungeschliffen und ungehobelt waren wie Sie! Weil diese Männer nicht nur ewig und ausschließlich ans Essen dachten wie Sie! Und weil diese Männer wohlerzogen und höflich genug waren, mir keine Szene zu machen und mir keine Grobheiten an den Kopf zu werfen, wenn mir einmal etwas mißlang, Herr Prack!«
    Herr Keyser mußte sich beherrschen, um nicht aufzuspringen und laut bravo zu rufen. Sein Prachtmädel! Gut hatte sie es diesem Lümmel gegeben! Und sie hatte >Männer< gesagt — Männer, die Pluralform! Kam sie endlich zur Einsicht? Schloß sie Thomas Steffen damit ein?
    »Ich werde Ihnen Kochunterricht geben, mein Fräulein!« höhnte Michael. »Sogar unentgeltlich! Nur gegen Erstattung der Materialkosten! Damit es Ihnen in Zukunft nie wieder passiert, daß ein höflicher und wohlerzogener Kavalier mit Ihnen die Geduld verliert und aus lauter Höflichkeit vor Ihrem Schlangenfraß bei Nacht und Nebel ausrückt! Und jetzt sagen Sie mir noch, wo ungefähr jenes Gehöft liegt und in welcher Richtung ich gehen muß, um neues Material zum Experimentieren aufzutreiben. Aber die Laboratoriumsgebühren müssen Sie schon vorstrecken, nachdem der Sozius Ihres Herrn Vaters mein Geld geklaut hat!«
    Sie nestelte wortlos ihren Brustbeutel los.
    Michael nahm ihn in Empfang, lief zum Wasser, sprang hinein und schwamm mit wütenden Stößen über den Fluß. Er kam etwas unterhalb der Stelle ans Ufer, wo Marion vordem mit dem Boot angelegt hatte, und schlug sich in der Richtung, die sie in stummer Verachtung nur durch einen Wink angedeutet hatte, in die Büsche.
    Marion blieb wie zerbrochen zurück. Man gebraucht oftmals starke Worte für schwache Sachen, aber Marion war tatsächlich zumute, als hätte es bei ihr einen inwendigen Knacks gegeben und als stünde nun alles still. Sie hatte nicht einmal die Kraft, erzürnt oder empört zu sein. Sie stand da, als wäre sie weggegangen und blicke sich selber nach. Es war ein Gefühl von Ausgeleertsein und Erschöpfung, als hätte sie eine große körperliche Anstrengung hinter sich.
    Ihr kluger Vater ließ ihr eine Weile Zeit, mit sich selber fertig zu werden, ehe er sich leise erhob und sich ihr so behutsam näherte, als könnte ein lauter Schritt oder eine heftige Bewegung sie wie einen Vogel verscheuchen. Er trat neben sie und legte ihr die Hand zärtlich auf die Schulter. So standen sie eine Weile nebeneinander. Ja, was war da nun zu machen? Es wäre Herrn Keyser nicht schwergefallen, jetzt weise und kluge Worte zu finden, die sich einem älteren Herrn unschwer auf die Lippen drängen, der seine eigenen Torheiten sozusagen bereits durch ein Fernrohr betrachten kann. Aber er ließ die Worte ungesprochen.
    Man konnte Marion Pülverchen und Tabletten geben, wenn sie Kopfschmerzen hatte, und ein Pflaster aufkleben, wenn sie sich verletzt hatte — aber hier mußte sie sich schon selber durchbeißen. Und Glück auf, mein Mädelchen, wenn die Enttäuschungen deines Lebens niemals größer sein werden als diese hier.
    »Wir haben mindestens eine gute Stunde für uns Zeit, Marion«, sagte der Alte Herr schließlich eindringlich und tatenlustig, als er merkte, daß sie sich wieder gefangen hatte: »Ich bin zwar nicht sehr geschickt in solchen Dingen, aber wenn es sein muß, dann traue ich es mir schon zu, Steffens Zelt in einer Viertelstunde abzubrechen, während du deins und meins zusammenlegst. Was meinst du dazu?« Marion sog tief Luft ein, als käme sie aus einem seit Wochen verschlossenen Raum ins Freie.
    »Dieser — dieser — dieser...«
    »Sprich es ruhig aus, mein Kind, wenn es dich erleichtert!« sagte der Alte Herr. »Wir sind ganz unter uns.« Aber sie machte den Mund energisch zu und ging an die Arbeit, und Herr Keyser half ihr dabei.
    Als Michael eine gute Stunde später, mit Paketen beladen, auf der Höhe des Dammes erschien und sein »Hol über!« rief,

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