Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
zu seinem bisher schönsten Lächeln, so dass er für einen Augenblick wirklich so aussah, als sei er durch die Gitterstäbe geschlüpft, worin auch immer er gefangen war. »Allerdings, dich fand ich schon exzellent«, sagte er.
    Diesmal erhob sie keinen Einwand gegen das Adjektiv, das er gewählt hatte. »Würdest du jetzt bitte den Wagen zu Schrott fahren, Joseph? Das wird mir gut tun. Hier will ich sterben.« Und noch ehe er sie davon abhalten konnte, hatte sie seine Hand ergriffen und drückte einen heftigen Kuss auf den Daumenknöchel.
    Die Straße war gerade, aber voller Schlaglöcher; auf beiden Seiten waren Hügel und Bäume mit Mondstaub von einer Zementfabrik gepudert. Sie saßen in ihrer eigenen Kapsel, und die Nähe anderer sich bewegender Dinge machte ihre Welt nur um so inniger. Wieder kam sie überall zu ihm, in ihren Gedanken und in seiner Geschichte. Sie war ein Soldatenmädchen, das lernte, Soldat zu sein.
    »Bitte, sag mir: abgesehen von den Orchideen - hast du noch andere Geschenke bekommen, als du am Barrie Theatre spieltest?«
    »Die Schachtel«, sagte sie und erschauerte, bevor sie auch nur so getan hatte, als müsse sie überlegen.
    »Was für eine Schachtel, bitte?«
    Sie hatte die Frage erwartet, und schon spielte sie ihm die Angewiderte vor, weil sie annahm, dass er das von ihr erwartete. »Das war irgendso ein schlechter Spaß. Irgendso ein Lump schickte mir eine Schachtel ins Theater. Per Eilboten und Einschreiben.«
    »Wann war das?« »Samstag. Am selben Tag, als du zur Matinee gekommen und bis zur Abendvorstellung geblieben bist.«
    »Und was war in der Schachtel?«
    »Nichts. Nur ein leeres Etui vom Juwelier. Einschreiben und dann leer.«
    »Wie merkwürdig, sehr merkwürdig. Und die Anschrift - die Anschrift auf dem Päckchen? Hast du sie dir genauer angesehen?«
    »Die war mit blauem Kugelschreiber geschrieben. In Blockbuchstaben.«
    »Aber wenn es ein Einschreibepäckchen war, muss doch auch ein Absender draufgestanden haben.«
    »Unleserlich. Sah aus wie Marden. Könnte aber auch Hordern gewesen sein. Irgendein Nottinghamer Hotel.« »Wo hast du es aufgemacht?«
    »In meiner Garderobe - zwischen den Auftritten.«
    »Allein?«
    »Ja.«
    »Und was hast du dir dabei gedacht?«
    »Ich dachte, jemand müsste einen Pik auf mich haben, wegen meiner politischen Ansichten. So was hatte ich ja schon öfter erlebt. Unflätige Briefe. Nigger-lover . Rote Pazifistensau, ‘ne Stinkbombe, die mir durchs Garderobenfenster reingeschmissen wurde. Ich dachte, sie käme von denen.«
    »Hast du denn die leere Schachtel nicht in irgendeiner Weise mit den Orchideen in Verbindung gebracht?«
    »Joseph, die Orchideen haben mir gefallen , du hast mir gefallen.«
    Er hatte den Wagen zum Stehen gebracht. Auf irgendeinem Rastplatz mitten in einem Industriegebiet. Laster donnerten vorüber. Einen Moment dachte sie, er würde plötzlich alles auf den Kopf stellen und sich auf sie stürzen, so widersprüchlich und schwankend war die Spannung in ihr. Doch das tat er nicht. Statt dessen griff er in die Seitentasche an der Tür neben sich und reichte ihr einen dicken, eingeschriebenen Brief mit Siegellack auf der Verschlussklappe und etwas Hartem, Rechteckigem darin, so, wie sie ihn an jenem Tag erhalten hatte. Poststempel Nottingham, 25. Juni. Vorn ihr Name und die Adresse des Barrie Theatre, mit einem blauen Kugelschreiber geschrieben. Und hinten der unleserliche Krakel des Absenders, genauso wie damals.
    »So, und jetzt machen wir die Fiktion daraus«, verkündete Joseph still, während sie den Umschlag umdrehte. »Auf die alte Realität stülpen wir die neue Fiktion.«
    Sie war ihm zu nahe, um sich selbst zu trauen, und so würdigte sie ihn keiner Antwort.
    »Der Tag ist hektisch verlaufen, wie es nun mal war. Du sitzt in der Garderobe, zwischen zwei Auftritten. Das Päckchen -noch ungeöffnet - wartet auf dich. Wie viel Zeit hast du noch, bis zu deinem Auftritt?« »Zehn Minuten. Vielleicht auch weniger.« »Sehr gut. Und jetzt mach das Päckchen auf.«
    Sie sah ihn verstohlen an, doch er starrte unbewegt geradeaus, hinüber zum feindlichen Horizont. Sie senkte den Blick auf den Umschlag, sah Joseph nochmals an, schob einen Finger unter die Lasche und riss sie auf. Das gleiche rote Schmuckkästchen von einem Juwelier, aber schwerer. Der kleine weiße Umschlag, unverschlossen, eine schlichte weiße Karte darin. Für Johanna, den Geist meiner Freiheit, las sie. Du bist phantastisch. Ich liebe Dich! Die

Weitere Kostenlose Bücher