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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Kurtz war das Frankreich und für Litvak Kanada. Nach der Landung begab sich Kurtz augenblicklich ins Olympische Dorf, wo die sogenannten argentinischen Fotografen ihn sehnlichst erwarteten, und Litvak in das Hotel Bayerischer Hof, wo er von einem ihm nur unter dem Namen Jacob bekannten Sprengstoff-Experten begrüßt wurde, einem stöhnenden, in höheren Regionen schwebenden Burschen in fleckiger Wildlederjacke, der in einem selbstschließenden Plastikaktenordner einen Stapel Messblätter in großem Maßstab bei sich trug. Als Landvermesser getarnt hatte Jacob die letzten drei Tage damit verbracht, entlang der Autobahn München-Salzburg umfangreiche Messungen vorzunehmen. Sein Auftrag war, die mögliche Wirkung einer sehr großen Sprengladung abzuschätzen, wenn sie in den frühen Morgenstunden eines Wochentages am Straßenrand explodierte - und das bei den unterschiedlichsten Witterungs- und Verkehrsverhältnissen. Die beiden Männer besprachen in der Hotelhalle bei mehreren Kännchen von ausgezeichnetem Kaffee Jacobs behutsame Vorschläge und fuhren dann zum nicht geringen Ärger der Schnellerfahrenden in einem Leihwagen langsam die gesamte hundert Kilometer lange Strecke ab und hielten fast überall, wo sie durften, und ein paar Mal auch dort, wo sie nicht durften.
    Von Salzburg aus reiste Litvak allein nach Wien weiter, wo eine neue Einsatzgruppe mit neuen Fahrzeugen und neuen Gesichtern ihn erwartete. In einem abhörsicheren Besprechungszimmer der israelischen Botschaft wies Litvak sie in ihre Aufgabe ein, und nachdem er noch andere, weniger wichtige Angelegenheiten erledigt hatte, wozu auch die Lektüre der letzten Bulletins aus München gehörte, führte er sie in einer ziemlich schäbigen Wagenkolonne als Touristen in ein bestimmtes Gebiet nahe der jugoslawischen Grenze, wo sie mit der Unbekümmertheit von Sommerausflüglern sämtliche Parkplätze, Bahnhöfe und malerischen Marktplätze abklapperten, ehe sie sich in der Umgebung von Villach über verschiedene kleine Pensionen verteilten. Nachdem er sein Netz so ausgelegt hatte, eilte er zurück nach München, um dort eingehend über die wichtige Präparierung des Köders nachzudenken.
    Die Vernehmung Yanukas ging bereits in den vierten Tag, als Kurtz eintraf, um die Zügel in die Hand zu nehmen, und war bis dahin mit entnervender Reibungslosigkeit vonstatten gegangen. »Ihr habt allerhöchstens sechs Tage Zeit für ihn«, hatte Kurtz seinen beiden Verhörspezialisten in Jerusalem eingeschärft. »Nach sechs Tagen werden eure Irrtümer nicht mehr zu korrigieren sein - und seine auch nicht.«
    Es war eine Aufgabe ganz nach Kurtz’ Geschmack. Hätte er an drei Orten zugleich sein können statt nur an zweien, er hätte sie sich selbst vorbehalten, doch das ging nun einmal nicht, und so wählte er zwei schwergewichtige Spezialisten der sanften Tour, die berühmt waren für ihre verhaltene schauspielerische Begabung sowie für die Art bekümmerten Wohlwollens, das sie gemeinsam ausstrahlten. Sie waren weder miteinander verwandt, noch waren sie - soweit man wusste - ein Liebespaar, doch sie arbeiteten schon seit so langer Zeit zusammen, dass ihre vertrauenerweckenden Züge einem das Gefühl gaben, einer Doppelwirkung ausgesetzt zu sein, und als Kurtz sie zum ersten Mal in das Haus in der Disraeli Street bestellt hatte, lagen ihre vier Hände wie die Pfoten von zwei großen Hunden auf der Tischkante. Zuerst war er barsch mit ihnen umgesprungen, denn er beneidete sie und war ohnehin geneigt, jedes Delegieren als eine Schlappe anzusehen. Um was es ging, hatte er ihnen nur in den dürrsten Worten umrissen, ihnen dann jedoch den Auftrag gegeben, sich mit Yanukas Akte vertraut zu machen und sich nicht eher wieder bei ihm zu melden, als bis sie sie durch und durch kannten. Als sie für seinen Geschmack zu schnell wiedergekommen waren, hatte er sie selbst wie bei einem Verhör in die Mangel genommen und sie bissig nach Yanukas Kindheit, seinem Lebensstil, seinen Verhaltensweisen und überhaupt allem ausgequetscht, womit er meinte, sie in die Bredouille bringen zu können. Aber sie hatten alle Antworten auswendig gekonnt, und so hatte er widerstrebend seinen aus Miss Bach, dem Schriftsteller Leon und dem alten Schwill bestehenden ›Bildungs-Kreis‹ zusammengerufen; diese drei hatten in den vergangenen Wochen ihre ausgefallenen Talente zusammengetan und sich zu einer wunderbar aufeinander abgestimmten und Hand in Hand arbeitenden Einsatzgruppe entwickelt. Die

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