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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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in einer Spezialtasche seiner kapokgefütterten Steppweste einen sehr großen Colt-Revolver; wenn er am Fernschreiber saß, hörten sie, wie die Waffe gegen das Gestell schlug, doch legte er sie nie ab. Er war ein genauso stilles Wasser wie David aus der Villa in Athen; ihrem Verhalten nach hätte man meinen können, sie seien Zwillingsbrüder.
    Die Aufteilung der Räume fiel in Miss Bachs Verantwortungsbereich. Leon wies ihr der Ruhe wegen das Kinderzimmer zu. An dessen Wänden ästen samtäugige Rehe riesige Gänseblümchen. Samuel bekam die Küche wegen ihres natürlichen Zugangs zum Hinterhof, wo er seine Antenne aufzog, an der er Babysöckchen aufhängte. Als Schwili jedoch zum ersten Mal das für ihn reservierte Schlafzimmer zu sehen bekam, stieß er einen spontanen Klagelaut aus.
    »Meine Beleuchtung! Lieber Gott, sieh dir meine Beleuchtung an! Bei einer solchen Beleuchtung könnte man ja nicht mal einen Brief an die eigene Großmutter fälschen!«
    Mit Leons Hilfe, der in seinem nervösen Schöpferdrang vor diesem unerwarteten Ansturm fast in die Knie ging, erfasste Miss Bach das Problem sofort: Schwili brauchte mehr Tageslicht für seine Arbeit, aber - nach der langen Kerkerhaft -auch für seine Seele. Im Handumdrehen hatte sie nach oben telefoniert, die Argentinier kamen, Möbel wurden unter ihren Anweisungen wie Bauklötze hin und her geschoben, und Schwilis Arbeitstisch am großen Wohnzimmerfenster wieder aufgestellt, von wo aus er einen Blick auf grüne Blätter und blauen Himmel hatte. Miss Bach persönlich hängte noch extradicke Netzgardinen auf, damit er sich auch ganz ungestört fühlen konnte, und befahl Leon, eine Verlängerungsschnur für seine hypermoderne italienische Lampe zurechtzumachen. Dann ließen sie ihn auf ein stummes Kopfnicken von Miss Bach hin leise allein, doch Leon beobachtete ihn heimlich von der Tür aus. Im schwindenden Tageslicht dasitzend, legte Schwili seine kostbaren Tinten und Federn und verschiedenen Arten von Briefpapier zurecht, als hätte er morgen sein großes Examen. Dann nahm er die Manschettenknöpfe ab und rieb sich bedächtig die Hände, um sie zu wärmen; dabei war es selbst für einen alten Gefangenen warm genug. Dann nahm er den Hut ab. Dann zog er hintereinander an jedem Finger und lockerte unter einer Salve von kleinen schmatzenden Lauten die Gelenke. Dann schickte er sich an zu warten, so wie er sein ganzes Erwachsenenleben hindurch immer gewartet hatte. Der Star, für dessen Empfang sie alles vorbereitet hatten, wurde pünktlich am selben Abend von Zypern kommend nach München eingeflogen. Keine blitzenden Kameras feierten seine Ankunft, denn schließlich handelte es ja sich um einen Kranken auf einer Tragbahre, um den sich ein Krankenpfleger und ein Privatarzt kümmerten. Der Arzt war echt, sein Pass allerdings nicht; und was Yanuka betrifft, so handelte es sich um einen britischen Geschäftsmann aus Nicosia, der in aller Eile nach Mü nchen gebracht wurde, wo er sich einer Operation am offenen Herzen unterziehen sollte. Das ging aus einem ganzen Stapel eindrucksvoller medizinischer Unterlagen hervor, die jedoch die deutschen Flughafenbeamten kaum interessierten. Ein unbehaglicher Blick auf das leblose Gesicht des Patienten sagte ihnen alles, was sie wissen mussten. Ein Krankenwagen fuhr Patienten, Arzt und Krankenpfleger in Richtung Krankenhaus rechts der Isar, bog dann jedoch ab und rollte, als sei das Schlimmste eingetroffen, in den bedeckten Hof eines freundlichen Beerdigungsunternehmers. Im Olympischen Dorf konnte man später sehen, wie die beiden argentinischen Fotografen und ihre Freunde einen Wäschekorb aus Weidengeflecht mit der Aufschrift: ›Vorsicht - Glas!‹ von dem ziemlich verbeulten Kleinbus zum Lastenaufzug schleppten; kein Zweifel, sagten die Nachbarn; jetzt fügen sie ihrer ohnehin schon übertrieben großen Ausrüstung noch eine weitere Extravaganz hinzu. Witzelnd erging man sich in Mutmaßungen darüber, ob die Briefmarkenhändler unten sich wohl über ihren Musikgeschmack beschweren würden: Juden mäkelten schließlich an allem herum. Oben packten sie inzwischen ihre Beute aus und stellten mit Hilfe des Arztes fest, dass unterwegs nichts kaputtgegangen war. Minuten später hatten sie ihn sorgfältig auf den Boden der gepolsterten Mönchszelle gelegt, wo er vermutlich binnen einer halben Stunde zu sich kommen würde, wenn auch nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die lichtundurchlässige Kapuze, die sie ihm über den Kopf

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