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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Acre und erklärte, es sei ideal für seine Zwecke. Aber bitte, nur für den Fall der Fälle, erklärte er den sehr hilfsbereiten Besitzern. Sie akzeptierten diese Bedingung. Sie akzeptierten alles. Sie waren stolz darauf, dass man sich an sie wandte, es freue sie zutiefst, Israel einen Dienst zu erweisen, selbst wenn das bedeutete, für ein paar Monate in ihr Haus in Marlow überzusiedeln. Leisteten sie sich nicht in Jerusalem eine Wohnung, die sie zu jedem Passahfest Freunden und Familienangehörigen zur Verfügung stellten, nachdem diese in Eilat vierzehn Tage Sonne und Meer genossen hatten? Und überlegten sie nicht ernstlich, für immer nach Israel zu gehen -allerdings erst dann, wenn ihre Kinder dort nicht mehr im wehrpflichtigen Alter waren und die Inflationsrate sich beruhigt hatte? Andererseits konnten sie genausogut in Hampstead bleiben. Oder in Marlow. Inzwischen würden sie großzügig spenden und alles tun, was Kurtz von ihnen verlangte, nie etwas als Gegenleistung erwarten und keiner Menschenseele ein Sterbenswörtchen sagen. In den Botschaften, Konsulaten und Gesandtschaften, die auf seinem Weg lagen, hielt sich Kurtz über die Fehden und Entwicklungen zu Hause sowie über die Fortschritte seiner Leute in anderen Teilen der Welt auf dem laufenden. Auf den Flügen brachte er seine Kenntnisse radikaler revolutionärer Literatur aller Art auf den neuesten Stand; sein ausgemergelter Adlatus, der mit richtigem Namen Shimon Litvak hieß, schleppte eine Auswahl davon in seiner schäbigen Aktenmappe mit sich herum und drängte sie ihm in den unpassendsten Augenblicken auf. Von den ›Harten‹ nahm er sich Fanon, Guevara und Marighella vor, bei den ›Weichen‹ befasste er sich mit Debray, Sartre und Marcuse, von den sanfteren Seelen, die hauptsächlich über die Grausamkeiten der Erziehung in der Konsumgesellschaft, die Schrecken der Religion und die verhängnisvolle geistige Verkümmerung in der kapitalistischen Kindheit schrieben, ganz zu schweigen. Daheim in Jerusalem und Tel Aviv, wo ähnliche Auseinandersetzungen nicht unbekannt waren, verhielt Kurtz sich womöglich noch unauffälliger, redete mit seinen Ermittlern, ging Rivalen aus dem Weg und wühlte sich durch erschöpfende Charakterporträts, die aus alten Unterlagen zusammengetragen und gewissenhaft auf den neuesten Stand gebracht und erweitert worden waren. Eines Tages hörte er von einem Haus - Disraelistraße 11-, das trotz niedriger Miete niemand haben wollte, und ordnete um der noch größeren Geheimhaltung willen an, dass alle, die an dem Fall arbeiteten, diskret dorthin umzögen. »Wie ich höre, wollen Sie uns schon verlassen«, meinte Misha Gavron am nächsten Tag skeptisch, als die beiden Männer sich bei einer Besprechung trafen, die mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte, denn mittlerweile hatte Gavron doch etwas läuten hören, wenn er auch nicht genau wusste, was das alles zu bedeuten habe. Trotzdem ließ Kurtz sich nicht aus der Reserve locken. Noch nicht. Er berief sich auf die Unabhängigkeit der einzelnen Abteilungen und setzte ein undurchsichtiges Grinsen auf. Bei Nummer 11 handelte es sich um eine schöne, von Arabern erbaute Villa mit einem Zitronenbaum im Vorgarten und etwa zweihundert Katzen, die von den weiblichen Beamten wie unsinnig gefüttert wurden. Was Wunder, dass die Villa ›Katzenhaus‹ genannt wurde und dem Team einen neuen Zusammenhalt gab, denn jetzt, wo die Leute vom Innendienst Wand an Wand zusammenarbeiteten, konnte es weder zu unerfreulichen Informationslücken zwischen den Spezialabteilungen noch zu undichten Stellen kommen. Außerdem wurde dadurch der Status der Operation gehoben, und darauf kam es nach Kurtz’ Ansicht besonders an. Am nächsten Tag kam der Schlag, auf den er gewartet hatte und den er noch nicht verhindern konnte. Er war furchtbar, erfüllte aber seinen Zweck. Ein junger israelischer Dichter, der zur Entgegennahme eines Literaturpreises der Universität Leiden nach Holland gereist war, wurde beim Frühstück in die Luft gejagt, und zwar durch eine Paketbombe, die am Morgen seines fünfundzwanzigsten Geburtstages in seinem Hotel abgegeben worden war. Kurtz saß am Schreibtisch, als die Nachricht eintraf, und nahm sie hin wie ein Preisboxer, der einen rechten Schwinger einsteckt: Er zuckte zusammen und schloss für einen Moment die Augen, doch nach wenigen Stunden stand er, einen Stoß Akten unter dem Arm und zwei Fassungen seines Einsatzplans in der freien Hand, in Gavrons Büro; eine

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