Die Libelle
und was ihm freiwillig auf die eine Weise nicht gegeben wurde, nahm er sich heimlich auf die andere. Aus Liebe zu Israel. Um des Friedens willen. Um der Mäßigung willen. Und um seines verdammten Rechtes willen, seinen Schlag zu landen und zu überleben.
In welcher Phase der Jagd er auf seinen Plan gestoßen war, hätte vermutlich nicht einmal Kurtz selbst sagen können. Solche Pläne reiften tief in ihm wie ein rebellischer Impuls, der nur auf einen Anstoß wartete, brachen dann aus ihm hervor, fast ehe er sich ihrer bewusst war. War er auf seinen Plan verfallen, als das Markenzeichen des Bombenlegers bestätigt wurde? Oder während er oben auf der Cäcilien-Höhe, oberhalb von Bad Godesberg pastasciutta gegessen hatte und ihm aufgegangen war, als wie nützlich sich Alexis für ihn einmal erweisen könnte? Schon vorher. Lange vorher. Es muss getan werden, hatte er schon im Frühjahr nach einer besonders bedrohlichen Sitzung von Gavrons Lenkungsausschuss jedem gesagt, der es hören wollte. Wenn wir den Gegner nicht aus dem eigenen Lager heraus angreifen, lassen diese Hampelmänner in der Knesset und im Verteidigungsministerium auf der Jagd nach ihm noch die ganze Menschheit in die Luft fliegen. Einige von seinen Ermittlern schworen, es liege zeitlich noch weiter zurück, und Gavron habe vor zwölf Monaten ein ähnliches Vorhaben unterdrückt. Wie dem auch sei. Fest steht jedenfalls, dass die Vorbereitungen für das ganze Unternehmen längst liefen, ehe der junge Mann nachweislich aufgespürt worden war, selbst wenn Kurtz vor den durchdringenden Blicken von Misha Gavron beharrlich alles, was darauf hätte schließen lassen, geheimhielt und sogar seine Unterlagen frisierte, um ihn zu täuschen. Gavron heißt auf Polnisch Krähe. Seine zerfledderte schwarze Erscheinung hätte zu keinem anderen Geschöpf gepasst.
Findet den Mann, sagte Kurtz zu seinem Jerusalemer Team und begab sich auf seine undurchsichtigen Reisen. Es handelt sich um einen jungen Mann und seinen Schatten. Findet den Mann, der Schatten folgt von selbst, das ist kein Problem. Kurtz bläute es ihnen immer wieder ein, bis sie schworen, es sei nicht zum Aushalten mit ihm. Er konnte Druck genauso gut ausüben wie aushalten. Zu jeder Tages- und Nachtzeit rief er an, aus den unmöglichsten Städten, und alles einzig und allein zu dem Zweck, sie seine Anwesenheit in ihrer Mitte keinen Augenblick vergessen zu lassen. Habt ihr den Mann noch nicht gefunden? Warum habt ihr den Mann noch nicht aufgestöbert? Dabei kleidete er seine Fragen immer noch in Worte, die es Gavron unmöglich machten, die Absicht dahinter zu verstehen, falls er doch Wind davon bekam; denn den Vorstoß bei Gavron hielt Kurtz bis zum letzten - und günstigsten - Augenblick zurück. Er verhängte eine Urlaubssperre, schaffte den Sabbat ab und benutzte seine eigenen mageren Ersparnisse, um seine Spesenabrechnungen nicht vor der Zeit durch die offizielle Buchhaltung laufen zu lassen. Er riss Reservisten aus der Behaglichkeit ihrer akademischen Pfründe und scheuchte sie -ohne Gehalt - zurück an ihren alten Schreibtisch, um auf diese Weise die Suche zu beschleunigen. Findet den Mann! Der junge Mann wird uns den Weg zeigen. Eines Tages wartete er aus dem Nirgendwo sogar mit einem Decknamen für ihn auf: Yanuka , ein freundliches aramäisches Wort für Jüngling -wörtlich Halbwüchsiger oder Grünschnabel. »Bringt mir Yanuka, und ich serviere euch diese Clowns samt dem ganzen Apparat auf einem Silberteller.«
Aber zu Gavron kein Sterbenswörtchen! Abwarten! Kein Wort an die Krähe! Wenn schon nicht in Jerusalem, so hatte jedenfalls in der von ihm so geliebten Diaspora die Schar seiner Helfer etwas Unheimliches. Allein in London flitzte er, ohne dass sich sein Lächeln sehr änderte, von ehrwürdigen Kunsthändlern zu Möchtegern-Filmmagnaten, von kleinen Zimmervermieterinnen im East End zu Kaufleuten aus der Bekleidungsbranche, fragwürdigen Autohändlern und angesehenen großen Firmen in der City. Ein paarmal sah man ihn auch im Theater, einmal sogar in der Provinz, allerdings immer im selben Stück, wobei er einen israelischen Diplomaten mitnahm, der sich um kulturelle Belange zu kümmern hatte; über Kultur unterhielten sie sich allerdings nicht. In Camden Town aß er zweimal in einem bescheidenen Fernfahrerrestaurant, das von zwei Indern aus Goa betrieben wurde; in Frognal, ein paar Kilometer nordwestlich von London, inspizierte er ein abgeschiedenes viktorianisches Landhaus namens The
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