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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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»Mach ihn bitte für mich auf«, sagte er und sah zu, als sie sich mit dem Verschluss abmühte.
    »Also wie spät ist es, bitte, Charlie?« fragte er wieder mit einer schrecklichen Unbeschwertheit. »Bitte, sag mir, wie spät es nach deiner Uhr genau ist.«
    »Zehn vor sechs. Später, als ich dachte.«
    Er entriss ihr den Wecker und sah selbst auf das Zifferblatt. Digital, vierundzwanzig Stunden. Er drehte das Radio an, das plärrende Musik von sich gab, ehe er es wieder abstellte. Er hielt es ans Ohr und wog es dann nachdenklich in der Hand. »Seit du mich gestern abend verlassen hast, hattest du nicht viel Zeit für dich, denke ich. Stimmt das? Eigentlich überhaupt keine.«
    »Keine.«
    »Wie hast du dann neue Batterien für das Radio kaufen können?«
    »Hab’ ich ja gar nicht.«
    »Und wieso funktioniert es dann?«
    »Das brauchte ich gar nicht - sie waren ja noch nicht alle - es geht jahrelang mit einem Satz - es gibt heute besonders langlebige...« Ihr fiel nichts mehr ein. Aus und vorbei, für alle Zeiten, jetzt und immerdar; denn inzwischen war ihr der Augenblick oben auf dem Berg wieder eingefallen, als er neben dem Coca-Cola-Wagen gestanden hatte, um sie zu durchsuchen; und der Augenblick, da er die Batterien in die Tasche steckte, ehe er den Wecker wieder in ihre Tasche zurückgetan und diese hinten in den Wagen geworfen hatte.
    Er hatte alles Interesse an ihr verloren. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Radiowecker. »Bring mir bitte das kleine hübsche Radio neben dem Bett, Charlie, bitte. Lass uns ein kleines Experiment machen. Ein interessantes technisches Experiment, das mit einem Hochfrequenzsender zu tun hat.«
    Sie flüsterte: »Kann ich was anziehen?« Sie zog ihr Kleid über und brachte ihm das Radio vom Nachttisch, ein modernes Gerät in schwarzem Kunststoff mit einem Lautsprecher, der wie die Wählscheibe eines Telefons aussah. Khalil stellte Wecker und Radio nebeneinander, drehte das Radio an und ging die einzelnen Kanäle durch, bis es plötzlich einen klagenden Schmerzenslaut von sich gab, wie eine Luftschutzsirene heulte. Dann nahm er den Wecker, schob die an Scharnieren hängende Klappe der Batteriekammer mit dem Daumen zurück, schüttelte die Batterien auf den Boden, wie er es gestern abend wohl gemacht haben musste. Der Heulton verstummte augenblicklich. Wie ein Kind, das ein erfolgreiches Experiment durchgeführt hat, hob Khalil den Kopf und gab vor zu lächeln. Sie bemühte sich, ihn nicht anzusehen, brachte es jedoch nicht fertig.
    »Für wen arbeitest du, Charlie? Für die Deutschen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Für die Zionisten?«
    Er nahm ihr Schweigen für ein Ja.
    »Bist du Jüdin?«
    »Nein.«
    »Glaubst du an Israel? Was bist du?«
    »Nichts«, sagte sie.
    »Bist du Christin? Siehst du in ihnen die Begründer eurer großen Religion?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf.
    »Ist es des Geldes wegen? Haben sie dich bestochen? Dich erpresst?« Sie wollte schreien. Sie ballte die Fäuste und füllte die Lungen, doch das Chaos erstickte sie, und sie schluchzte statt dessen. »Um Leben zu retten. Um beteiligt zu sein. Um etwas zu sein. Ich habe ihn geliebt.«
    »Hast du meinen Bruder verraten?«
    Der Krampf in ihrer Kehle löste sich, ihre Stimme hatte nun etwas unendlich Eintöniges. »Ich habe ihn nie gekannt. Habe nie im Leben ein Wort mit ihm gesprochen. Sie haben ihn mir gezeigt, ehe sie ihn umbrachten, alles andere ist reine Erfindung. Unsere Liebesgeschichte, meine Bekehrung - alles. Nicht einmal die Briefe habe ich geschrieben - das haben sie getan. Und den Brief an dich auch. Den über mich. Ich habe mich in den Mann verliebt, der sich um mich gekümmert hat. Das ist alles.«
    Langsam, ohne Aggression, streckte er die linke Hand aus und berührte ihre Wange, offenbar, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich war. Dann betrachtete er seine Fingerspitzen, sah wieder sie an und verglich irgendwie beides miteinander.
    »Und du bist Engländerin, gehörst zu demselben Volk, das mein Land weggegeben hat«, erklärte er ruhig, als könnte er das, was er mit eigenen Augen sah, nicht recht fassen.
    Er hob den Kopf, und während er das tat, sah sie, wie sein Gesicht sich missbilligend abwandte und dann unter der Wucht dessen, womit auch immer Joseph geschossen hatte, aufloderte. Charlie hatte er beigebracht stehenzubleiben, wenn sie den Abzug durchgedrückt hatte, Joseph jedoch tat das nicht. Er traute seinen Kugeln nicht, dass sie ihre Aufgabe erfüllten, sondern rannte

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