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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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wissen, dass Ihr Vater nie ins Gefängnis gekommen ist. Dass der Gerichtsvollzieher nie bei Ihnen war und kein Mensch Ihnen Ihr Pony weggenommen hat. Der arme Mann ging aus Unachtsamkeit bankrott, eine kleine Pleite, bei der kein Mensch irgendwelchen Schaden erlitt, außer ein paar Bankmanagern am Ort. Das Verfahren wurde in allen Ehren aufgehoben, wenn man das so nennt, und zwar lange vor seinem Tode; ein paar Freunde sammelten etwas Geld, und Ihre Mutter blieb ihm eine stolze, ergebene Frau. Es war auch nicht Ihres Vaters Schuld, dass Sie vorzeitig von der Schule abgingen, sondern allein Ihre eigene. Sie hatten sich -lassen Sie mich das mal so ausdrücken - in der Kleinstadt, wo das Internat lag, ein wenig zu bereitwillig mit ein paar Jungs eingelassen, was prompt den Lehrern zugetragen wurde. Folglich wurden Sie Hals über Kopf als verderbtes und potentiell gefährliches Element von der Schule gejagt und zu Ihren sträflich nachsichtigen Eltern zurückgeschickt, die Ihnen zu Ihrer großen Frustration sämtliche Übertretungen verziehen und sich nach Kräften bemühten, Ihnen alles zu glauben, was Sie ihnen erzählten. Im Laufe der Jahre haben Sie eine einleuchtende Geschichte um das Ereignis gewoben, um es ertragen zu können, und glauben sie inzwischen selber, obwohl die Erinnerung daran Ihnen insgeheim immer noch schwer zu schaffen macht und Sie viele merkwürdige Wege einschlagen lässt.« Und wieder legte er seine Uhr an einen sicheren Platz auf dem Tisch. »Wir sind Ihre Freunde, Charlie. Denken Sie etwa, wir würden Ihnen wegen so etwas je Vorwürfe machen? Glauben Sie etwa, wir verstünden nicht, dass Ihre politischen Einstellungen Ausdruck einer Suche nach Größe und nach Antworten sind, die Ihnen versagt wurden, als Sie sie am meisten brauchten? Wir sind Ihre Freunde , Charlie. Wir sind nicht mittelmäßig, gelangweilt, antriebslos, Vertreter des suburbia-esthablishments und Konformisten. Wir möchten teilhaben an dem, was Sie tun, es uns zunutze machen. Warum sitzen Sie da und führen uns an der Nase herum, wo wir doch nichts anderes von Ihnen hören wollen als die unbeschönigte, objektive Wahrheit, und zwar von Anfang bis Ende? Warum versuchen Sie, Ihren Freunden Knüppel zwischen die Beine zu werfen, statt uns von ganzem Herzen Vertrauen zu schenken?« Die Wut überschwemmte sie wie eine kochende See. Sie wurde von ihr emporgehoben und gereinigt; sie spürte, wie sie anschwoll, und ergab sich ihr als ihrer einzigen echten Verbündeten. Mit der ihrem Beruf eigenen Berechnung ließ sie zu, dass sie ganz und gar davon beherrscht wurde, während sie selbst, dieses winzige gyroskopische Geschöpf tief drinnen, das es stets schaffte, nicht umzufallen, dankbar auf Zehenspitzen seitlich in den Kulissen verschwand, um von dort aus zuzusehen. Zorn ließ ihre Bestürzung aussetzen und linderte den Schmerz ihrer Bloßstellung; Zorn ließ sie wieder klare Gedanken fassen und klar sehen. Sie trat einen Schritt vor und hob die Faust, um sie auf ihn niederfahren zu lassen, doch er war ihr an Jahren zu überlegen, zu unerschrocken und hatte schon zu viele Schläge einstecken müssen. Außerdem war da unmittelbar hinter ihr etwas, was noch erledigt werden musste.
    Gewiss, es war Kurtz gewesen, der durch seine bewusste Verlockung jenes Streichholz angerissen hatte, das dazu geführt hatte, dass sie explodierte. Und doch war es Josephs Arglist, Josephs Werben und Josephs unergründliches Schweigen, die ihre endgültige Demütigung bewirkten. Sie fuhr herum, machte zwei Schritte auf ihn zu und wartete darauf, dass jemand ihr in den Arm fiel, was jedoch keiner tat. Sie warf den Fuß hoch, stieß den Tisch um und sah zu, wie die Tischlampe in anmutigem Bogen - Gott weiß wohin - segelte, bis die Strippe zu kurz wurde und die Lampe mit einem überraschten Plop ausging. Sie zog die Faust zurück, wartete darauf, dass er sich verteidigte. Er tat es nicht, und so schlug sie auf ihn ein, während er so dasaß, und erwischte ihn mit aller Macht am Backenknochen. Sie überschüttete ihn mit einer Flut ihrer gemeinsten Flüche, mit denen, die sie für Long Al und das ganze unbeschriebene und schmerzliche Nichts ihres verqueren, allzu kleinen Lebens bereithielt, doch wünschte sie, er würde sich wehren oder zurückschlagen. Sie schlug ein zweites Mal zu, diesmal mit der anderen Hand, wollte sein ganzes Ich treffen und ihm ihren Stempel aufdrücken, doch seine vertrauten braunen Augen fuhren fort, sie unbeirrt zu beobachten wie

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