Die Lichtermagd
…«, keuchte Luzinde, doch der Vater unterbrach sie.
»Du bist noch zu jung. Du kannst noch gar nicht ermessen, was für eine Verantwortung du dir damit aufbürden willst. Für dich ist es besser so, und für das Kleine auch.«
»… nur zu verständlich …«, drangen die Worte der fremden Nonne in den Raum. »Gebt … das.« Etwas Blitzendes wechselte die Hand.
Luzinde nahm all ihre Kräfte zusammen, die sie zu mustern imstande war, als die Nonne durch die Tür der kleinen Kammer trat und das Kind von der Amme empfing. Die junge Mutter
schob die Beine über die Bettkante, zog sich am Pfosten hoch, um ihr Gleichgewicht zu finden, und machte einen Schritt. Ihre Beine versagten, und sie sank zu Boden. Den Schmerz des Aufpralls in den Handgelenken spürte sie kaum.
»Nein...«, weinte sie, doch die Nonne hörte nicht. Sie drehte sich wieder um und schritt über die Schwelle. »Nein!«, schluchzte die Mutter auch, als ihr Vater sie aufhob und zurück ins Bett hob. Sie schlug mit den Fäusten um sich und traf ihn am Kinn, so kraftvoll sie eben konnte. Er hielt ihre Arme fest und drückte sie aufs Bett. Dann streifte er ihr etwas über den Kopf. Kühles Metall lag ihr auf der Haut zwischen den Brüsten. »Das ist zum Trost, sagt Schwester Elisabeth. Such dein Heil, Luzinde.«
»Sollten sie allein lassen«, murmelte die Amme. Das Weiß ihrer Augen schimmerte im Kerzenlicht. »Wird sich schon wieder beruhigen. Spätestens, wenn die Milch aufhört zu flie ßen.« Damit sammelte sie ihre Utensilien zusammen, wusch die Hände im bereits geröteten Wasser und ging. Die Nonne folgte ihr, das wimmernde Bündel im Arm.
Draußen sauste der Wind noch immer, und der Regen hämmerte gegen das Holz der einsamen Kate vor dem Dorf Lindelberg, als wolle er es zerschlagen. »Nein«, flehte Luzinde. Ihr Vater war der Letzte in der kleinen Kammer. Wenn sie schwor, sie werde sich kümmern, werde aufhören, Unfug zu machen, werde mehr Verantwortung übernehmen, dann würde er bestimmt auf sie hören, würde die Nonne zurückholen!
»Ich will mein Kind …«, begann sie. Doch der Vater fuhr ihr über den Mund. »Hör auf! Du weißt nicht, was du da redest. Es ist schlimm genug, wie es ist.« Er strich ihr nicht über das Haar oder gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er ging, wie er es früher getan hatte. Seit er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, blickte er sie nicht einmal mehr an.
Als auch der Vater ging, blieb nur Luzinde zurück. Allein mit dem Heulen des Windes und dem beständigen Prasseln des Regens auf dem Dach. Allein mit dem Stöhnen der Holzbalken und der eisigen Kälte. Immerhin hatte sie noch Licht. Ihre Augen tasteten die vertrauten Schemen der Kammer ab, die durch die freundliche Flamme beschienen wurden. In ihren Brüsten zog es schmerzhaft.
Luzinde starrte auf die Kerze. Sie hatte sich über Monate nur auf diesen Augenblick vorbereitet, ihn herbeigesehnt und gleichzeitig gefürchtet. Sie hatte versucht sich vorzustellen, was sie für ihr Kind empfinden würde. Sie hatte von Glückseligkeit und Vergebung geträumt. Davon, dass ihr Vater stolz seinen Enkel in die Arme nehmen würde, wenn er ihn erst einmal gesehen hätte. Nun war alles anders, und das Einzige, was ihr blieb, war der pulsierende Schmerz in ihrem Schoß.
Eine Windbö erfasste die Kate mit sausendem Geräusch und rüttelte daran. Luzinde erzitterte. Die Tür fuhr auf und quietschte in den Angeln. Das Mädchen zog die Decke höher über die Schultern und wünschte sich, das Feuer wäre nicht heruntergebrannt. Dann verlöschte jäh die Kerze.
Die Schwärze lähmte das Mädchen vor Schreck. Plötzlich schien die Einsamkeit greifbar, und mit der Dunkelheit kam auch die Erkenntnis dessen, was gerade geschehen war. Man hatte ihr das Kind genommen. Für immer. Wie hatte sie das nur zulassen können!
»Ich will mein Kind«, flüsterte sie, doch der Raum blieb stumm. Dann schrie sie hinaus: »Ich will mein Kind! Bitte, gebt mir meinen Sohn!« Johann. Sie hatte ihn nicht einmal in den Armen gehalten!
Luzinde zog sich die Wolldecke um den Leib und strengte jeden Muskel an. Sie schob sich wieder aus dem Bett und stützte sich ab, wo sie nur konnte. Ihr helles Nachthemd war noch
feucht und blutig, doch sie scherte sich nicht um die Kälte, die auf ihrer Haut klebte.
Langsam, Schritt für Schritt, schob Luzinde sich zur Tür der Kammer, hinaus in den Vorraum, in dem die Glut eines Feuers gerade verglomm. Sie schaffte es bis zur Tür und zog mit Mühe
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