Unheimliche Erscheinungsformen auf Omega XI
J. Braun G. Braun
Unheimliche
Erscheinungsformen
auf Omega XI
Utopischer Roman
Verlag Das Neue Berlin
1. Auflage dieser Ausgabe
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin · 1984 (1974)
Lizenz-Nr.: 409-160/151/84 · LSV 7004
Umschlagentwurf: Schulz/Labowski
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung:
Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden
622 636 3
00580
Scanned by Grebo
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Nehmen wir mal an, Sie haben das in Ihrer Bildungskassette, und ich brauche vorläufig nicht ausschweifender zu werden, daß nämlich in einer der vielen Vorzeiten, von denen die Erde heimgesucht wurde und deren Anzug immer grau ist, in einer grauen Vorzeit also eine Anzahl Erdenleute sich unverstanden fühlte, keine Perspektive mehr für sich erblickte und deshalb unserm edlen Globus einen Tritt gab, um sich auf Omega elf, ein gutes Stückchen hinter dem letzten Mond des Jupiters, anzusiedeln. Es waren dies genau die Leute, die sich Lichtmenschen oder, feiner ausgedrückt, Lumen nannten.
Vielleicht haben Sie inzwischen auch etwas von den Funksprüchen gehört, mit denen uns einer dieser Lumen, der Sonnenblume hieß, zwei Jahre lang beehrte, bis sich unsere Weltsicherheitsbehörde dermaßen verunsichert fühlte, daß sie sich entschloß, jemand nach Omega elf abzuschießen, und zwar mich, Merkur Erdenson, was hoffentlich auch in Ihrer Bildungskassette vorhanden ist. Sollten Sie eine von den schludrig gemachten erwischt haben, so teile ich Ihnen mit, daß ich vor dem Abflug ledig, 29 Jahre alt, 1,80 m lang und 65 kg schwer war und drei Weltraumfahrten hinter mir hatte. Mehr brauchen Sie vorläufig nicht zu wissen, vielleicht noch, daß ich mich für das Omega-elf-Unternehmen freiwillig gemeldet hatte, und zwar selbsttätig freiwillig.
Aber jetzt schalte ich schon auf Null, wenn ich Ihnen hier abspielen soll, was Sie einer einigermaßen anständig gemachten enzyklopädischen Kassette selbst entnehmen können; ich will lieber ein bißchen über Sachen reden, über die Sie in keiner Bildungskassette so informiert werden können wie von mir, Merkur Erdenson. Zum Beispiel über das Gespräch, das ich mit Cäsar Brynn, Professor bei der Weltsicherheit s behörde, Abteilung Historische Einsicht, hatte.
Von meinen anderen Weltraumfahrten wußte ich schon, daß man vorm Abschluß immer noch einen Vortrag von Brynn über sich erg e hen lassen mußte, denn ohne historische Einsicht darf keiner in den Raum steigen.
Dieses Gespräch vor dem Abschuß nach Omega elf war keine Rout i nesache. Das merkte ich an Cäsar Brynns feierlicher und besorgter Miene. Als er die althergebrachte Frage stellte: Mein Sohn Erdenson, was bewegt dich, die Reise in den Raum anzutreten, und ich wie gelernt antwortete: Die Einsicht in die historische Bedeutung des Unterne h mens für das Wohl unserer Mutter Erde, verzog er den Mund etwas angewidert.
Nun mal alle Formeln beiseite, Merkur, warum hast du dich geme l det? Diesmal müssen wir das ganz genau wissen, denn wie du den Funksprüchen entnommen hast, geht es jetzt nicht allgemein um das Wohl der Erde, sondern ganz konkret darum, daß wir von Bewohnern eines anderen Sterns um Hilfe gebeten werden. Es geht also um unser moralisches Antlitz, verstehst du. An sich hätten wir es gar nicht nötig, nachdem uns die Vorfahren dieser Lumen böswillig verlassen haben, ihnen jetzt zu Hilfe zu kommen, aber wir drücken damit die Moral u n seres Globus aus, indem wir nichts nachtragen, sondern den unterstü t zen, der unsere Unterstützung braucht. Das ist das allererste Mal, daß uns eine solche Mission zuteil wird, Menschen auf einem anderen Stern zu helfen. Hast du darüber schon nachgedacht?
Ja, sagte ich, eben in diesem Moment, bloß finde ich, daß es nicht nur um die Hilfe für diese Lumen geht, es kann ja auch, wie Sonnenblume in seinen Sprüchen andeutet, der Erde Gefahr drohen. Von diesen u n heimlichen Erscheinungsformen des Lebens, wie sich Sonnenblume so schön abstrakt ausdrückt. Also ist es nicht nur Hilfsbereitschaft, wenn wir nachsehen, was auf Omega elf eigentlich los ist, sondern Selbste r haltungstrieb.
Und deshalb hast du dich freiwillig gemeldet?
Ist Selbsterhaltungstrieb vielleicht nicht moralisch?
Ich hatte mich gemeldet, weil ich mal eine ganz große Reise machen
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