Die Lichtermagd
Nürnberg überragte, dort immer zwei und zwei die steilen Holzstufen erst außerhalb, dann innerhalb der Turmmauern zu erklimmen, bis er schließlich in der abendlichen Dämmerung des milden Junitages auf der obersten Plattform stand. Ulrich Gruntherr kam ihm nachgelaufen wie ein treuer Hund.
Hier ballte Hosto die Fäuste, um nicht die Fassung zu verlieren, und glich so mehr einer bärtigen Steinstatue mit hellem Haar denn einem Menschen. Sein starrer Blick folgte dem Lauf der Pegnitz gen Sonnenuntergang, durch die weiten Felder, die Nürnberg umgaben, schweifte über dunkel bewaldete Hügel, wo sie sich irgendwo mit der Rednitz vereinte.Vereint wälzten sich die Flüsse weiter bis Bamberg, wo der Bischof dieser Lande Hof hielt, und ergossen ihr Wasser dort in den Main, der es schließlich über Würzburg nach Frankfurt spülte. Dort teilte der König vermutlich in diesem Moment das Mahl mit Markgraf
Ludwig von Brandenburg. Dieser älteste Sohn Kaiser Ludwigs des Bayern stellte sich also hinter Karls Ansprüche auf den Königsthron. Damit gab es niemanden mehr, der diesem die Stirn bieten konnte.
»Eine Schande? Eine Schande!« Die bebende Stimme Ulrich Gruntherrs schnappte fast über. Der kleine Mann mit dem Kugelbauch schwitzte nach dem steilen Treppenaufstieg auf den Rundturm. »Das ist keine Schande, das ist eine Katastrophe! Du hast gesagt, wir müssten aufseiten Ludwigs stehen. Du hast gesagt, er wäre uns dienlicher und gewogener! Und was haben wir nun davon?«
Hosto verspürte den beinahe unbezwingbaren Drang, sich den Mann zu greifen und über das Holzgeländer des Turmes zu schleudern. Der Verlust für Nürnberg wäre gering. Doch er beherrschte sich. Hielt Gruntherr ihn für einen Propheten? Für einen unfehlbaren Engel? Für Gott gar? Hätte Hosto gewusst, dass Ludwig klein beigeben würde, hätte er König Karl im letzten Jahr natürlich niemals die Stirn geboten.
Die Situation war damals aber auch verzwickt gewesen. Der Rat hatte König Karl nach Kaiser Ludwigs Tod zunächst anerkannt. Doch Ludwigs Sohn gleichen Namens bot ihnen dann alle Vorteile. Macht und Anspruch eines alten Hauses. Handelsprivilegien, deren Ausmaß gewaltig gewesen war. Man hatte sich einiger aufstrebender Schmiedemeister bedient, wie Rudel Geisbart einer war, um einen neuen, einen aufständischen Rat einzusetzen.
»Es war damals die richtige Entscheidung. Ludwig hat Tirol, und Tirol ist das Tor nach Venedig. Ludwig hat die Oberpfalz, und aus der Opferpfalz kommt das Erz für unsere Waffenschmieden. Niemand konnte ahnen, dass Ludwig sich Karl fügen würde.« Hosto rieb sich die Nasenwurzel.
»Aber das hat er, Hosto!« Ulrich Grundherrs panische Stimme
hallte über die verwaiste Burg. »Und mittlerweile verteilt Karl alle unsere Privilegien an den Burggrafen von Nürnberg und den Bischof von Bamberg! Die FamilieVischbecken hat die Teichnutzung verloren, die Waldstromers und die Forstmeisters die Forstrechte. Jetzt nimmt Karl uns noch die Kaiserburg und Burg Brunn weg, um sie dem Burggrafen zu geben. Das Schultheißenamt verwalten inzwischen auch wieder dessen Getreue! Alles, wofür wir in den letzten Jahrzehnten gekämpft haben, geht die Pegnitz runter – weil wir zu Ludwig halten! Und jetzt verkauft der Mann sich an den König!« Gruntherr lief auf der kleinen kreisförmigen Plattform auf und ab und raufte sich das Haar in höchster Verzweiflung.
»Gruntherr, beruhige dich«, knurrte Hosto Stromer wütend. Doch die Furcht des anderen Mannes ließ ihn ruhig werden. Er wandte sich nach Osten und sah hinunter auf die Burggrafenburg direkt unter ihm, die momentan ebenso verlassen dalag wie die Kaiserburg selbst. »Hier geht es doch nicht nur um Ludwig und seine Allianzen! Hier geht es darum, dass Nürnberg als eine der ganz großen Parteien im Reich anerkannt wird! Ob von Ludwig oder von Karl spielt dabei keine Rolle.« Er stützte sich mit den Ellenbogen auf die Zinnen und dachte nach. »Karl will den Burggrafen gegen uns ausspielen. Er will uns in die Enge drängen.«
»Das hat er schon geschafft!« Gruntherr blieb endlich stehen. »Wir müssen dem König die Füße küssen. Sofort! Sonst bleibt von Nürnberg nichts mehr übrig.«
Hosto schnaubte abfällig. »Rückgrat, Mann! Karl ist vieles, aber nicht dumm. Er weiß, dass Nürnberg das Tor zum Reich ist. Und seine Waffenkammer obendrein. Er braucht Nürnberg, und er glaubt nicht einen Herzschlag daran, dass der Burggraf ihm ebenso dienlich sein könnte wie der Rat der
Weitere Kostenlose Bücher