Die Liebe des letzten Tycoon
mit dem linken Arm kurz abzuwehren – und dann sah ich weg, ich hielt es einfach nicht mehr aus.
Als ich wieder hinsah, lag Stahr unter dem Tisch, und Brimmer sah auf ihn herunter.
[209] »Bitte gehen Sie jetzt«, sagte ich zu Brimmer.
»Na gut.« Er sah immer noch wie gebannt auf Stahr, während ich um den Tisch herumkam. »Ich hätte schon immer gern mal zehn Millionen Dollar zu fassen gekriegt, aber dass es so passieren würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.«
Stahr regte sich nicht.
»Bitte gehen Sie«, wiederholte ich.
»Entschuldigen Sie. Kann ich…«
»Nein. Bitte gehen Sie.«
Er sah noch einmal hin, ein wenig erschrocken über die tiefe Ruhe, zu der er Stahr in Sekundenbruchteilen verholfen hatte, dann ging er rasch über den Rasen davon, und ich kniete mich hin und schüttelte Stahr. Er kam mit einem krampfartigen Ruck zu sich und sprang auf.
»Wo ist er?«, schrie er.
»Wer?«, fragte ich harmlos.
»Dieser Amerikaner. Warum musstest du ihn auch heiraten, du verdammte Närrin.«
»Er ist fort, Monroe. Ich habe niemanden geheiratet.«
Ich schubste ihn in einen Sessel.
»Er ist seit einer halben Stunde weg«, schwindelte ich.
Die Pingpongbälle waren über den Rasen verteilt wie ein Sternbild. Ich stellte einen Rasensprenger an und kam mit einem nassen Taschentuch zurück, aber Stahr hatte keinen Kratzer abbekommen, der Schlag hatte ihn offenbar an der Schläfe getroffen. Er verschwand hinter den Bäumen und übergab sich, und ich hörte, wie er Erde drüber scharrte. Danach ging es ihm offenbar besser, aber er wollte nicht ins Haus, ohne sich den Mund gespült zu haben, also brachte [210] ich die Whiskeyflasche weg und holte eine Flasche Mundwasser. Sein kläglicher Versuch, sich zu betrinken, war beendet. Ich bin schon mit College-Erstsemestern unterwegs gewesen, aber so viel Ungeschick und so wenig Zecherlust wie bei Stahr habe ich noch nie erlebt.
Wir gingen ins Haus. Von der Köchin erfuhren wir, dass Vater und Mr. Marcus und Flieshacker auf der Veranda waren, deshalb blieben wir im Luxuslederzimmer. Wir probierten mehrere Sitzgelegenheiten aus, rutschten immer wieder ab, und schließlich setzte ich mich auf einen Fellvorleger und Stahr auf eine Fußbank neben mich.
»Hab ich ihn getroffen?«, fragte er.
»Und wie.«
»Nicht zu glauben.« Pause. »Ich wollte ihm nicht weh tun, ich wollte ihn nur vertreiben. Wahrscheinlich hat er aus lauter Angst zugeschlagen.«
Wenn das seine Auslegung war, sollte es mir recht sein.
»Nimmst du es ihm übel?«
»Nein. Ich war betrunken.« Er sah sich um. »Hier bin ich noch nie gewesen. Wer hat das Zimmer eingerichtet?«
»Jemand aus New York.«
»Ich muss dich unbedingt hier herausholen«, sagte er in seinem alten freundschaftlichen Ton. »Hättest du Lust, dir die Ranch von Doug Fairbanks anzusehen und dort zu übernachten? Er hat mich eingeladen und freut sich bestimmt, wenn du mitkommst.«
So fingen die beiden Wochen an, in denen wir miteinander herumzogen. Louella brauchte nur eine, um aus uns Mann und Frau zu machen.
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[211] Eine der schönsten Liebesgeschichten der amerikanischen Literatur
Monroe Stahr verschwindet für eine Weile, und Cecelia begleitet ihn – das ist ein wunderbares Ende für die Geschichte des letzten Tycoon. Versöhnlich, weil es der Erzählerin zwei Wochen mit dem Mann schenkt, in den sie von Anfang an verliebt war. Zart optimistisch, denn Stahr geht offenbar am Verlust der Liebe zu Kathleen und einer Zukunft mit ihr nicht zugrunde. Alles bleibt offen, alles, was in der Vorstellung des Lesers möglich ist, könnte geschehen. Und ein würdiger Schluss für einen Hollywood-Roman ist es auch: Der letzte Satz gilt dem Klatschreporter, der aus dem vorübergehenden Rückzug der beiden in das Haus eines Filmstars eine Hochzeitsreise macht. Alles stimmt also an diesem Ende, bis auf eines: Es ist nicht das Ende des Romans, den F. Scott Fitzgerald schreiben wollte.
Die Liebe des letzten Tycoon ist ein unvollendetes Werk. Fitzgerald starb am 21. Dezember 1940, nur vierundvierzig Jahre alt, während er an diesem Roman arbeitete. Ganz so wie Monroe Stahr hatte er Probleme mit dem Herzen und erlag einem Herzschlag, unerwartet zu jenem Zeitpunkt, aber nicht völlig überraschend für alle, die ihm nahestanden. Er hatte viel zu viel getrunken in seinem Leben, immer wieder brach eine Tuberkulose auf, die ihn jahrzehntelang quälte, seine Konstitution war schwach. Doch er hatte in [212] den
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