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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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Der Weg zurück
Eingang
    Der Rest des zweiten Zuges liegt in einem zerschossenen Grabenstück hinter der Front und döst.
    »Komische Art von Granaten –«, sagt Jupp plötzlich.
    »Wieso?«, fragt Ferdinand Kosole und richtet sich halb auf.
    »Hör doch!«, antwortet Jupp.
    Kosole legt eine Hand hinters Ohr und lauscht. Wir horchen ebenfalls in die Nacht hinaus. Aber es ist nichts anderes zu vernehmen als das dumpfe Geräusch des Artilleriefeuers und das hohe Zwitschern der Granaten. Von rechts kommt dazu nur noch das Knarren von Maschinengewehren und ab und zu ein Schrei. Aber das kennen wir nun seit Jahren, deshalb braucht man doch nicht extra den Mund aufzumachen.
    Kosole sieht Jupp bedenklich an.
    »Jetzt hat’s gerade aufgehört«, verteidigt sich der verlegen.
    Kosole mustert ihn noch einmal forschend. Da Jupp jedoch ruhig bleibt, wendet er sich ab und brummt nur: »Dir zischt der Kohldampf im Bauch, das sind deine Granaten. Solltest lieber ein Auge voll Schlaf nehmen.«
    Dabei klopft er aus Erde eine Kopfstütze zurecht und streckt sich vorsichtig so aus, dass seine Stiefel nicht ins Wasser rutschen können. »Mensch, zu Hause hat man nun ’ne Frau und ein zweischläfriges Bett«, murmelt er, schon mit geschlossenen Augen.
    »Wird schon einer dabei liegen«, gibt Jupp aus seiner Ecke zurück.
    Kosole öffnet ein Auge und wirft ihm einen scharfen Blick zu. Er sieht aus, als wollte er doch noch aufstehen. Dann aber knurrt er: »Möcht ich ihr nicht raten, du Rheineule.« Gleich darauf schnarcht er bereits.
    Jupp macht mir ein Zeichen, zu ihm herüberzuklettern. Ich steige über Adolf Bethkes Stiefel und setze mich neben ihn. Mit einem behutsamen Blick nach dem Schnarchenden bemerkt er bitter: »Keine Ahnung von Bildung hat so was, sage ich dir.«
    Jupp war vor dem Kriege Schreiber bei einem Rechtsanwalt in Köln. Obwohl er schon drei Jahre Soldat ist, hat er immer noch ein empfindliches Gemüt und legt sonderbarerweise Wert darauf, hier draußen ein gebildeter Mensch zu sein. Worum es sich dabei genau handelt, weiß er selbst natürlich auch nicht; aber von allem, was er früher einmal gehört hat, ist ausgerechnet das Wort Bildung bei ihm hängen geblieben, und er klammert sich daran wie an eine Planke im Meer, um nicht unterzugehen. Jeder hat hier so irgendetwas, der eine seine Frau, der andere sein Geschäft, der Dritte seine Stiefel, Valentin Laher seinen Schnaps und Tjaden den Wunsch, noch einmal dicke Bohnen mit Speck zu fressen. Kosole hingegen wird durch das Wort Bildung ohne Weiteres gereizt. Er bringt es irgendwie mit dem Begriff Stehkragen zusammen, und das genügt ihm. Sogar jetzt wirkt es. Ohne sein Schnarchen zu unterbrechen, äußert er kurz: »Du Miststock von Schreiberseele.«
    Jupp schüttelt resigniert und erhaben den Kopf. Eine Weile sitzen wir schweigend dicht nebeneinander, um uns zu wärmen. Die Nacht ist nass und kalt, Wolken ziehen, und manchmal regnet es. Dann nehmen wir die Zeltbahnen, auf denen wir hocken, und hängen sie über unsere Köpfe.
    Am Horizont leuchtet das Mündungsfeuer der Geschütze. Man hat den Eindruck, es müsse dort eine weniger kalte Gegend sein, so gemütlich sieht es aus. Wie bunte und silberne Blumen steigen die Raketen über das Wetterleuchten der Artillerie hinaus. Groß und rot schwimmt der Mond in der diesigen Luft über den Ruinen einer Ferme.
    »Glaubst du, dass wir nach Hause kommen?«, flüstert Jupp.
    Ich zucke mit den Schultern. »Es heißt ja so. –«
    Jupp atmet laut. »Ein warmes Zimmer und ein Sofa und abends ausgehen – kannst du dir das noch vorstellen?«
    »Bei meinem letzten Urlaub habe ich mein Zivilzeug anprobiert«, sage ich nachdenklich, »aber es ist mir viel zu klein geworden; ich müsste neue Sachen haben.« Wie wunderlich das alles hier klingt: Zivilzeug, Sofa, Abend –. Sonderbare Gedanken kommen einem hoch dabei – wie schwarzer Kaffee, wenn er manchmal zu sehr nach dem Blech und Rost des Kochgeschirrs schmeckte und man ihn heiß und würgend wieder erbrach.
    Jupp bohrt versonnen in der Nase. »Menschenskind, Schaufenster – und Cafés – und Weiber.«
    »Ach, Mann, sei froh, wenn du zuerst mal aus der Scheiße hier raus bist«, sage ich und blase in meine kalten Hände.
    »Hast recht.« Jupp zieht die Zeltbahn über seine mageren, krummen Schultern. »Was machst du denn, wenn du hier weg bist?«
    Ich lache. »Ich? Ich werde wohl wieder zur Schule müssen. Ich und Willy und Albert – und sogar Ludwig drüben auch.«

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