Die Liebe kommt auf leisen Pfoten
ihnen. Als der Vater Gwens Hand in die des Prinzen legte, war sie überrascht, wie weiche dessen Hand war. „Wahrscheinlich hat er noch nie in seinem Leben körperlich arbeiten müssen“, ging ihr durch den Kopf. Aber sofort schimpfte sie mit sich selbst. Sie wollte nicht schon in den ersten Sekunden über ihren zukünftigen Gemahl urteilen.
Der Prinz öffnete die Kutsche und half Gwen, einzusteigen. Danach half er auch noch der Großmutter, ins Innere zu steigen. Während die beiden Reiter das Gepäck der beiden Frauen verstaute, übergab der Prinz dem Vater ein Säckchen mit den restlichen Goldstücken. Auch dem Ortsvorsteher drückte er schweigend ein Säckchen in die Hand. Dann sah er noch einmal in die Menge und bestieg selbst die Kutsche. Er saß Gwen gegenüber, die neben ihrer Großmutter saß. Beide Frauen hielten sich an den Händen. Ein Ruck ging durch die Kutsche, als diese sich in Bewegung setzte. Durch das kleine Fenster konnte Gwen sehen, wie sie aus dem Dorf herausfuhren, vorbei an den Feldern und schließlich in den Wald. Bald waren sie so weit weg vom Dorf, dass Gwen nicht mehr wusste, wo sie waren. Keiner der Drei sagte ein Wort während der Fahrt. Auch ihre Großmutter sah nach draußen.
Als die Sonne dann fast am höchsten Punkt stand setzte die Großmutter sich aufrecht hin und sagte zum Prinz: „Meint Ihr nicht, dass es an der Zeit wäre, Eure Maskerade abzunehmen?“ Der Prinz sah sie nur an, antwortete aber nichts.
„Schließlich sind wir jetzt weit genug weg von allen anderen. Oder irre ich mich, und es gibt doch einen anderen Grund, warum Ihr Euer Gesicht verbergt.“ Gwen war über die Worte ihrer Großmutter so überrascht, dass sie ihre Oma mit offenem Mund anstarrte.
„Nein, Ihr habt recht“, sprach der Prinz schließlich und Gwen fuhr es in den Magen. Jetzt begann sie, an ihrem Verstand zu zweifeln. Doch ihre Ohren hatten sie nicht getäuscht. Als der Prinz sein Gesicht enthüllte kam tatsächlich Myria zum Vorschein.
„Du?“ fragte Gwen ungläubig. „Wie? Ich meine, Du bist der Prinz? Schon die ganze Zeit?“
„Ja, oder besser nein. Es gibt keinen Prinzen. Ich muss Dich enttäuschen. Es gibt nur eine Prinzessin.“
„Und seit wann hast Du davon gewusst?“, wandte sich Gwen nun an ihre Großmutter. Die zuckte nur mit den Schultern.
„Was heißt gewusst. Sagen wir mal so, ich hatte eine Ahnung, welche mir unsere Vorfahren in gewisser Weise bestätigt haben. Aber wirklich gewusst habe ich es erst heute morgen, als unser Prinz aus der Kutsche stieg und sich unsere Blicke getroffen haben. Denn ich sah in die gleiche Tiefe, welche ich bei Myria sah, als wir ihre Wunde versorgten.“
„Und warum hast Du mir nicht gleich gesagt, wer Du wirklich bist? Was sollte das ganze Schauspiel mit dem Prinzen?“ Gwen wurde langsam sauer, weil sie an der Nase herum geführt worden war und ging nun unbewusst ins ‚Du’ über.
„Weißt Du“, versuchte ihr Myria zu erklären und rückte ebenfalls von der förmlichen Anrede ab, „seit ich klein war, war ich neidisch auf meinen großen Bruder, weil er irgendwann mal eine Prinzessin heiraten durfte und ich nicht. Jetzt bin ich zwar kein Kind mehr, aber der Wunsch ist geblieben, lieber eine Frau an meiner Seite zu haben, als einen Mann. Ich kann Dir versichern, es war nicht leicht, meine Eltern davon zu überzeugen, dass ich mit einem Mann niemals glücklich werden könnte. Meine Eltern haben es aber schließlich akzeptiert. Und weil mein großer Bruder sowieso den Thron übernehmen wird und auch schon für Nachwuchs gesorgt hat, ist das alles auch kein Problem. Die Familie wird also auch ohne mein Zutun fortbestehen.“
„Deshalb verstehe ich trotzdem noch nicht, was das Versteckspiel sollte.“
„Sieh mal, meine Eltern waren ein Glück so offen, dass sie mir die Wahl gelassen haben und sie verurteilen mich auch nicht dafür. Viele andere tun es aber und die wenigstens würden ihre Tochter an ein ‚Mannsweib’ wie mich verheiraten. Hätte Dein Vater Dich denn gehen lassen, wenn er gewusst hätte, wer wirklich hinter dem Prinzen steckt?“
„Sicher nicht“, antwortet die Großmutter. „Und Klara erst“, jetzt musste sie sogar etwas lachen, „die wäre auf der Stelle tot umgefallen.“
„Du hast sicher recht“, lenkte Gwen ein, „aber warum hast Du mir gestern Nacht nicht gesagt, wer Du bist? Du hast doch gesehen, wie schlecht es mir ging.“
„Hättest Du mir denn geglaubt, wenn ich es Dir gesagt
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