Die Liebe zu Rosen mit Dornen
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Einen Moment lang denke ich, mir ist ein Fehler unterlaufen. Meine Pinzette hält inne und zittert über der gelben Rose. Die Blütenblätter habe ich bereits abgelöst, um das Staubblatt bloÃzulegen, das den Pollen dieser männlichen Pflanze freisetzen wird. Aber ist das die Rose, die ich mir vorhin vorgenommen hatte? Oder wollte ich eigentlich die weiÃe Rose mit den orangefarbenen Blättern und der offenen Blüte, die fast wie eine Margerite aussieht? Die Eltern kenne ich nur unter ihrem Code: G120 und G10. Ich überprüfe die Daten noch einmal in meinem Notizbuch. Ich kreuze keine Pflanzen, ohne diese Codes einzutragen. So kann ich jedes Ergebnis wiederholen oder bearbeiten. In letzter Zeit lässt mein Gedächtnis nach, auch wenn ich es nur ungern zugebe. Ich richte die Lampe neu aus, beruhige meine zitternden Hände und fahre fort.
Ich züchte Rosen. Ich ziehe sie nicht nur. Die meisten Rosenliebhaber ziehen Rosen, die andere bereits perfektioniert haben. Ich hingegen erfinde neue Sorten.
Ich betreibe die Rosenzucht nicht zum SpaÃ. Jedenfalls nicht nur. Für die meisten Leute ist diese Art von Spaà die reine Quälerei, aber schlieÃlich bin ich ja auch nicht wie andere Leute.
Rosen sind mein Hobby und meine Berufung. Ich hoffe, dass ich eines Tages aufwache und mich in meinem Gewächshaus eine preisgekrönte Rose anlacht, damit ich meinen Job kündigen und mich nur noch den Rosen widmen kann. Mein Hobby hat mich dazu bewegt, diesen einst gepflegten Vorstadtgarten umzupflügen und wildes, dorniges Gestrüpp zu pflanzen. Eine Eigentümergemeinschaft hätte mich schon lange rausgeschmissen.
Man muss schon verrückt sein für das, was ich mit diesen Rosen vorhabe. Ich möchte eine nie da gewesene Hulthemia-Rose züchten und auf den Markt bringen. Eine, die für ihren Duft und ihre unverwechselbare Färbung berühmt ist. Sollte es mir gelingen, diese Rose in meinem Garten zu züchten, gehe ich damit zu einer der kleineren Rosenschauen. Sollte sie einen Preis gewinnen, wäre ich vielleicht mutig genug, an einer der gröÃeren Shows wie der »American Rose Society Convention« teilzunehmen. Sollte eine meiner Rosen die »Queen of Show« werden, wäre das in etwa so, als würde ein Mädchen, das von der Modelschule geflogen ist, Miss America werden. Es würde mir das nötige Selbstvertrauen geben, dass meine Rose die teure Patentierung wert ist, die immerhin zwei Riesen kostet, ohne Anwaltshonorar.
Mein gröÃter Traum wäre es, eine Rose in den Testgärten der American Rose Society unterzubringen, wo auserwählte neue Rosen zwei Jahre lang unter wechselnden klimatischen Bedingungen gehalten werden, um zu sehen, wie sie sich machen. Von diesen kürt die Rose Society die eine oder andere als die Beste der Besten.
Wie stehen meine Chancen? Auf der einen Seite sind da die groÃen Rosengärtnereien mit ihren endlosen Ressourcen, die jedes Jahr Hunderttausende neuer Sämlingssorten hervorbringen. Nur zwei bis drei davon schaffen es auf den Markt.
Und auf der anderen Seite bin da ich, Galilee Garner, eine Hobbyzüchterin mit groÃem Garten und günstigstenfalls ein paar hundert neuen Sämlingen, die versucht, sich gegen professionelle Betriebe durchzusetzen. Es sieht nicht besonders gut für mich aus, oder?
Allerdings ist dabei auch noch etwas anderes im Spiel, nämlich Glück. Der Einfluss des Faktors Glück ist nicht zu unterschätzen. Es ist wie bei einer Lotterie. Manchmal gewinnt jemand alles, obwohl er nur einen Dollar eingesetzt hat, während ein anderer, der ein Jahr lang jede Woche hundert Dollar investiert hat, leer ausgeht.
Nehmen Sie zum Beispiel den Mann, der die Dolly-Parton-Teerose in seinem Keller gezüchtet hat. Er zog diverse Rosenhybride und fand einen hässlichen, kleinen orangeroten Sämling, der bei seiner ersten Blüte nur zwölf Blätter bekam, nicht die zwanzig, die man erwarten würde. Als sich seine Hand um den Sämling schloss, um ihn herauszureiÃen, roch er kurz daran. Der Duft war einmalig.
Er lieà die Pflanze leben. Sie bekam unglaubliche sechzig Blütenblätter, was ihr den Namen einbrachte und sie zu einer der beliebtesten Rosen aller Zeiten machte. Ich glaube, mit Dolly Parton konnte sich der Mann zur Ruhe setzen. Nur weil er Glück hatte.
Und ich beschäftige mich mit Rosen, die jede Menge Glück brauchen
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