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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Tibo!»
    «Schon gut», rief er, «komm heraus. Das Wasser ist nur knöcheltief.»
    Obwohl Tibo bei jedem Wort nach Luft schnappen musste, schenkte der Klang seiner Stimme Agathe neuen Mut, und sie warf sich in die Wellen.
    «Mach. Dir. Keine. Sorgen. Mein. Liebling», keuchte er. «Wir heben das Boot ein Stückchen an und lassen das Wasser herauslaufen.»
    Aber natürlich gelang ihnen das nicht. Das kleine Boot war zur Hälfte mit Sand und Meerwasser gefüllt. Tibo keuchte und mühte sich, aber es ließ sich nicht bewegen. Mit letzter Kraft zog er sich über die Kante ins Boot hinein, um das Wasser mit bloßen Händen zurück ins Meer zu schaufeln. Aber die Wellen waren schneller. Glücklicherweise war er so durchnässt und die Nacht so dunkel, dass Agathe die Tränen in seinem Gesicht nicht sehen konnte, und er war so durchnässt und kraftlos, dass sein Atem ohnehin wie ein Schluchzen klang. Und dann, als sich eine besonders große Welle glitzernd und schimmernd im Mondlicht erhob und ihn anblitzte wie das flache, böse, tote Auge eines Haifischs, wendete sich das Boot, um die Wassermassen aufzunehmen, es kippte um, ging unter, kam wieder hoch und stellte sich mutig auf, allerdings ohne die Ruder.
    Agathe stand auf der Sandbank und heulte elendiglich. Tibo krabbelte und schwamm und watete und wand sich aus dem Boot, um neben Agathe niederzusinken. Er schlang das Seil um ihren Körper und knotete seine Hand am anderen Ende fest. Wenigstens, dachte er, werden wir zusammen sterben.
    «Wir werden auf die Ebbe warten, und dann versuchen wir es noch einmal», sagte er.
    Aber Agathe entgegnete: «Das Wasser geht mir jetzt bis zu den Knien. Ich glaube, es steigt.»
    «Ich hatte gehofft, du würdest es nicht so schnell bemerken», sagte er, legte den Arm um sie und fügte hinzu: «Agathe, ich habe nichts und niemanden auf der ganzen Welt. Ich habe alles, was ich besaß, einem Mann vermacht, den ich nicht kenne, und wenn ich in kurzer Zeit tot bin, wird keine Menschenseele davon erfahren oder sich fragen, was mir zugestoßen ist; aber trotzdem möchte ich nirgendwo auf dieser Welt lieber sein als hier bei dir, die weiß, wie viel Zucker ich in den Kaffee nehme. Nun lass mich dich umarmen, denn ich habe große Angst.»
     
    Das war eine sehr hübsche Ansprache, und der gute Tibo Krovic hätte es verdient gehabt, eine ebenso hübsche Antwort zu bekommen – vielleicht ein Lob dafür, dass er zu ihr gehalten und sie geliebt hatte, obwohl sie ein Hund war   –, aber Agathe sagte nur: «Schau mal, da drüben.» Und als Tibo sich nicht regte, wiederholte sie: «Schau mal, da drüben», bis er tatsächlich hinsah. «Ich weiß, wo wir sind», sagte Agathe.
    Aus der Dunkelheit kam durch das knietiefe Wasser der Sandbank wie über eine winterliche Steppe eine Reihe von Gestalten auf sie zu. Allen voran marschierte eine mächtigeFigur mit einem Leopardenanzug und einem enormen, gezwirbelten Schnurrbart. Auf den Schultern trug der Mann zwei Ruder.
    Ohne ein Wort zu sagen, löste er vorsichtig das Seil von Agathes Körper, um es sich selbst umzubinden, dann watete er auf die Mitte der Sandbank, wo das Wasser am flachsten war, und zog das Boot heraus wie einen großen, toten Fisch. Aber es war noch längst nicht wieder seetüchtig. Die Wellen schlugen knapp unterhalb der Dollborde an, und das Boot war voller Wasser. Der Muskelmann biss grimmig die Zähne zusammen, stemmte sich von unten gegen das Heck und begann, sich aufzurichten. Seine Füße rutschten über den Sand, und er verzog das Gesicht vor Anstrengung, aber das Boot neigte sich, es stellte sich auf den Bug, und das Wasser lief ab. Kurze Zeit später tanzte das kleine Boot wieder auf den Wellen, und mit einem milden Lächeln half der Riese Tibo und Agathe an Bord. Dann legte er seine riesigen Pranken ans Heck und schob das Boot in die Wellen hinaus.
    Tibo und Agathe hingen über der Kante und schauten zurück zum Zirkusvolk, das aufgereiht auf der Sandbank stand und winkte. Schon reichte das Wasser den Leuten bis an die Hüfte. Das Boot trieb weiter. Der Mond verzog sich hinter eine Wolke. Als er wieder herauskam, war das Zirkusvolk verschwunden, und nichts war mehr zu sehen außer einer weiten, glatten Wasseroberfläche.
    Tibo und Agathe waren zu erschöpft zum Rudern, sie waren nass und froren. Also ließen sie sich durch die Dunkelheit treiben und betrachteten einen einzelnen, hellen Stern, der durch die Wolken funkelte.
    Nach langer Zeit sagte Tibo endlich: «Ich muss dich

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