Die Liebeslotterie
etwas Wichtiges fragen, Agathe.» Ihr Schweigen nahm er als Aufforderungzu sprechen. Er sagte: «Mein Liebling, wusstest du, dass Hektor tot ist?»
«Ja, Tibo, ich glaube, das wusste ich.» Nach einer Weile fügte sie hinzu: «Ich glaube, er war kein besonders netter Mensch.»
Tibo sagte: «Heißt das, du bereust, dich in einen Hund verwandelt zu haben?»
«Ich denke, mir blieb kein anderer Ausweg. Andererseits habe ich beschlossen, mich so bald als möglich in eine Frau zurückzuverwandeln – ehrlich gesagt, schon bei Sonnenaufgang.»
In jenem Moment waren Tibo und Agathe weit von Dot entfernt, sogar für meine Augen, und niemand hat jemals wieder von ihnen gehört. Niemand weiß, wie ihre Reise endete, aber jeden Morgen um halb acht, kurz bevor der Goldene Engel seine Türen öffnet, kniet Herr Cesare stumm vor meinem Grab, um ein stilles Gebet für den Seelenfrieden seines Freundes zu sprechen, und nie vergisst er, eine Tüte Pfefferminzbonbons dazulassen.
Und jeder weiß, dass bis heute ein Portrait vom guten Bürgermeister Krovic, angefertigt anhand der zahlreichen Fotos aus dem Archiv der Morgenpost, stolz im Rathaus hängt, wo er so lange so treu seinen Dienst versah.
Und die ganze Welt weiß, dass die gefeierten zwölf Unvollendeten Akte von Hektor Stopak, die damals aus seiner Wohnung gestohlen wurden, sich hierhin und dorthin verkauften und von Hand zu Hand gingen, um dann gegen unfassbar viel Geld wieder zu einem einzigen, perfekten Opus magnum zusammengeführt zu werden und nun als Dauerleihgabe im Krovic-Gedenkflügel des städtischen Kunstmuseums von Dot zu hängen.
Die Legende sagt, es existiere ein dreizehnter Stopak, aber nur der Anwalt Guillaume weiß, dass dieses Bild im Wohnzimmer des Hauses Nummer 43 in der Loyolastraße hängt, als Teil einer sehr privaten Privatsammlung, zu der niemand, und schon gar nicht die Öffentlichkeit, Zugang hat. Es wurde auf einen neuen Holzrahmen aufgespannt und aufwendig restauriert. Und nur der Anwalt Guillaume weiß, dass im Regal desselben Wohnzimmers ein einziges, einsames Buch steht, eine signierte Ausgabe von «Über den Reis» des gefeierten Schriftstellers Gnady Vadim, der zusammen mit seiner Ehefrau glücklich in einem großen, weißen Haus an der dalmatischen Küste lebt, wo die beiden den ganzen Tag lang Wein trinken, Oliven essen und ihren schönen Kindern von Homer erzählen.
Informationen zum Buch
Es gibt im Baltikum einen vergessenen Landstrich und darin eine Stadt namens Dot. Als einst die Kartographen von Katharina der Großen dort vor der Küste arbeiteten, sank das Schiff samt Kartenmaterial, und statt noch einmal von vorn zu beginnen, notierte man schlicht, die Gewässer in jener Gegend seien nicht schiffbar. Unberührt von aller zivilisatorischen Kälte leben also die Menschen in der Stadt Dot am Fluss Ampersand in einer Art Traumwelt.
Nicht dass sie keine Probleme kennen würden: Der Bürgermeister Tibo Krovic ist zum Beispiel auf das Unglücklichste in seine Sekretärin Agathe Stopak verliebt, die wiederum mit einem Mann verheiratet ist, der sie nicht mehr liebt und nicht bereit ist, ihren großen erotischen Appetit zu stillen. Eines Tages fasst Krovic sich ein Herz und lädt sie zum Mittagessen ein. Eine zarte Liebesgeschichte entspinnt sich. Irgendwann jedoch zu zart für Agathes Geschmack, ungeduldig wirft sie sich dem Erstbesten (der natürlich der Allerschlechteste ist) an den Hals. Drei Jahre leiden sie getrennt voneinander. Dann nimmt Mamma Cesare, ihres Zeichens Wirtin und Magierin, sich der beiden Liebenden an. Vor allem biegt sie dem viel zu zögerlichen, viel zu ehrenwerten Krovic bei, dass er mit Agathe das große Los gezogen hat. Er sollte nur nicht versäumen, es auch einzulösen …
Informationen zum Autor
Nach einer kurzen Episode als Waldarbeiter ist Andrew Nicoll, geboren 1962, Journalist geworden. Er arbeitete für verschiedene Zeitungen. Zurzeit ist er Redakteur bei «The Scottish Sun». «Die Liebeslotterie» ist sein erster Roman, er schrieb ihn im Zug auf dem täglichen Weg zur Arbeit. Die Rechte daran sind mittlerweile in neunzehn Länder verkauft. Andrew Nicoll lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in einem alten viktorianischen Haus in der Nähe von Dundee.
Für ihre Übersetzung von «Die Liebeslotterie» wurde Eva Bonné, geboren 1970, mit dem Förderpreis der Stadt Hamburg ausgezeichnet.
Impressum
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, April
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