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0691 - Schwester der Nacht

0691 - Schwester der Nacht

Titel: 0691 - Schwester der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Barkawitz
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Vivien legte den Kopf in den Nacken, als würde sie Witterung aufnehmen. Hier, fünf Fuß unter der Erde, wehte natürlich kein Wind. Und trotzdem konnte die Vampirin die Nähe ihrer Opfer förmlich spüren.
    Zwei Männer, die den Fehler begangen hatten, sich in der Dunkelheit auf dem Friedhof herumzutreiben.
    Die Schwester der Nacht stieg über die steilen Marmorstufen aus der Gruft empor. Ein grausames Lächeln ließ ihre langen Fangzähne sehen…
    ***
    Sommer 1869, Friedhof Père-Lachaise, Paris
    Eduard Mentier hatte die Hosen voll.
    So würde es jedenfalls sein Kumpel Jean Fabien ausdrücken. Und damit Jean nicht merkte, dass Eduard vor Angst fast krepierte, klopfte der junge Mann ein paar Sprüche.
    »Guck dir bloß mal die Dinger an!«, krähte Eduard. Das fahle Licht seiner Blendlaterne fiel auf eine in Stein gehauene nackte Frau, die eines der vielen Grabhäuschen auf dem Père-Lachaise Friedhof schmückte. »Solche Möpse haben noch nicht mal die besten Nutten an der Place Pigalle!«
    »Du musst es ja wissen«, knurrte Jean. »Und jetzt halt dein Maul. Oder willst du den Flics noch eine Extraeinladung schicken?«
    Eduard schwieg verdrossen. Wie man es machte, war es verkehrt.
    Die beiden Ganoven hatten vor kaum zwei Stunden einen betrunkenen Spießbürger niedergestochen. Leider hatte der Kerl noch laut um Hilfe rufen können, als sie ihm Geld und Taschenuhr abgenommen hatten.
    Seitdem waren Jean und Eduard auf der Flucht vor den Ordnungshütern. Jean hatte vorgeschlagen, den Rest der Nacht auf dem Père-Lachaise zu verbringen. Die unzähligen Grüfte und Gräber boten wirklich erstklassige Versteckmöglichkeiten.
    Aber Eduard fürchtete die Toten.
    Seinem Kumpel gegenüber wollte er das nicht zugeben. Schließlich war Eduard genau wie Jean einer der gefürchteten Pigalle-Verbrecher, die allgemein nur »Apachen« genannt wurden. Und Apachen kennen keine Furcht, das wusste jeder Pariser.
    Die schmalen Schnurrbärte, die schief sitzenden Mützen und die vernarbten Gesichter wiesen die beiden jungen Männer unverkennbar als gefürchtete Halsabschneider aus. Eduard war mindestens so flink mit dem Messer wie sein Freund Jean.
    Aber was konnte eine scharfe Klinge gegen die Toten ausrichten?
    Eduard verscheuchte diese Gedanken. Er leuchtete mit seiner Blendlaterne herum. Der Friedhof erschien ihm wie eine ganze Stadt. Eine Stadt der Toten…
    Manche der prächtigen Gräber waren mit Pyramiden oder Obelisken geschmückt. Einige waren sogar mit kleinen Kanonen oder Leuchttürmen verziert. Riesige Engel aus Stein wachten über Grabhäusern und letzten Ruhestätten.
    »Runter mit deiner Funzel!«, zischte Jean. »Oder willst du den Flics Lichtsignale geben? Es reicht, wenn du weißt, wo du hinlatschen sollst!«
    Eduard kniff die Lippen zusammen. Was für eine Laus war Jean bloß über die Leben gelaufen? Sein Kumpel war doch sonst immer lustig und gut gelaunt.
    Vielleicht hat er ja auch Angst vor den Toten, sagte sich Eduard. Und will es bloß nicht zugeben…
    Im nächsten Moment blieb der Apache mit der Blendlaterne wie angewurzelt stehen.
    »Was ist denn nun schon wieder los?«, grollte Jean.
    Eduards Blick huschte zwischen den Totengrüften und den hohen Bäumen des Friedhofs hin und her. Er glaubte gesehen zu haben, dass einer der steinernen Engel von den Gräbern losgeflogen wäre.
    Aber das konnte er seinem Kumpel natürlich nicht erzählen. Sonst würde nämlich am nächsten Tag die ganze Place Pigalle über ihn lachen.
    »Wollte mir eine anstecken«, murmelte er und fischte seinen Tabaksbeutel aus der Jackentasche.
    Jean seufzte genervt und überlegte, ob er seinem Freund aufmunternd in den Hintern treten sollte.
    Aber dazu kam es nicht mehr.
    Im nächsten Moment stürzte ein schwarzer Schatten auf die beiden Apachen herab!
    Ein grässlicher Schrei erklang. Eduard ließ vor Schreck die Blendlaterne fallen. Ihr Lichtfinger irrlichterte in den Nachthimmel. Im fahlen Schein der Laternesahen die Ganoven für einen Moment eine riesige Fledermaus, die auf sie niederfuhr.
    »Verdammtes Biest!«, fluchte Jean und riss sein Schnappmesser heraus. Doch der schwarze Schatten war zu schnell für ihn. Die Fledermaus riss dem Apachen mit ihren Krallen die Mütze vom Kopf und ritzte sein Ohr. Blut rann an Jeans linker Gesichtshälfte herunter.
    Er stieß mit der Klinge nach dem dunklen Leib. Doch da hatte sich die Fledermaus schon wieder in den Nachthimmel erhoben.
    Jean stocherte mit seinem Messer in der Luft herum und

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