Die Liebeslotterie
Agathe im Spiegel schaute lächelnd zurück. Beide Agathes ließen das gelbe Kleid von ihren Schultern rutschen, sodass es mit einem Seufzer auf dem Boden landete. Unsere Agathe hob das Kleid wieder auf, um es an einen Haken an der Tür zu hängen. Sie würde es später noch brauchen. Die Agathe im Spiegel tat vermutlich dasselbe, was aber unmöglich zu erkennen war, hatte sie doch einen keuschen Nebelvorhang vor ihr Fenster gezogen. Auf dieser Seite des Spiegels, in jenem Dot, wo die Autos rechts fuhren und ein Schönheitsfleck links und knapp über Agathes Oberlippe saß, zog unsere Agathe ihre Unterwäsche aus und knüllte sie zu einem Ball zusammen. Die würde sie nicht mehr brauchen.
Die nackte, üppige, strahlend schöne Agathe öffnete das Päckchen vom Kaufhaus Braun. Das vernünftige Unterhemd, das die ältere Dame als Ballast hinzugegeben hatte. Wie nettvon ihr. Lächelnd legte Agathe es auf den grünen, hölzernen Badezimmerhocker. Nun folgte eine Schicht aus rosa Seidenpapier. Lavendelblüten rieselten zu Boden, als Agathe es anhob. Agathe kicherte und bückte sich, um die Blüten mit Daumen und Zeigefinger von den Fliesen aufzusammeln. Sie bemerkte nicht, wie sie bei dieser Bewegung Lavendelduft in dem dunstigen Raum verteilte. Tibo hätte es bemerkt.
Nach wenigen Augenblicken hielt Agathe die neue Wäsche in der Hand. Sie hob sie gegen das geschliffene Fensterglas und bewunderte sie, bewunderte die schillernde Transparenz, die Geschmeidigkeit, die Kaum-heit. Sie beugte sich über die dampfende Badewanne und hängte die Wäsche an eine Leine, an der sie normalerweise über Nacht ihre Strümpfe trocknen ließ. So würde sie sie während des Bades bewundern können.
Vorsichtig nahm Agathe das Seidenpapier aus der Schachtel und faltete es zu einem ordentlichen Heftlein zusammen. «Das hebe ich für Weihnachten auf», sagte sie. Am Boden der Schachtel vom Kaufhaus Braun lag immer noch eine lila Schicht aus Lavendelblüten. Sie rochen wundervoll – rein und frisch, klar und sommerlich. Agathe steckte die Nase in die Schachtel, atmete tief ein und hielt den Atem an, um den Duft ganz auszukosten. Dann leerte sie die Schachtel über der Badewanne aus und verteilte die Blüten mit der Hand.
Sie stellte die kleine, rote Schachtel in sicherem Abstand zu schädlichen Wasserspritzern ab – sie würde sie als Andenken aufbewahren – und stieg in die Wanne.
Sie war eine Göttin. Nicht einmal Tizian wäre ihr gerecht geworden. Sie war Diana, die fernab der Blicke Sterblicher ihr Bad im Waldsee nimmt. Das Wasser sehnte sich nach ihrer Berührung und strömte ihr in winzigen Wellen entgegen. Es schwappte gegen den Badewannenrand, als Agathe sich räkelte,noch tiefer eintauchte und genüsslich seufzte. Sie hatte sich das Haar auf dem Kopf aufgetürmt, damit es nicht nass würde, und im aufsteigenden Dampf kringelten sich dunkle Löckchen in ihrem Nacken. Sie schaute zu ihrer neuen, extravaganten Unterwäsche hinauf und lächelte. Sie stellte sich Stopaks Reaktion vor, wozu sie ihn verleiten, was sie sich ihm zuliebe – gern – gefallen lassen würde.
Sie schaute auf ihren vom warmen Wasser geröteten Körper hinunter, auf die wackelnden Zehen unter den fernen Wasserhähnen, auf die melonenrunden, vom lavendelduftenden Wasser umspülten Brüste mit den rosa Spitzen und auf die dunklen Wedel, die schwarzen Anemonen gleich im Rhythmus der Badewannenströmung gaukelten.
Agathe, die so lange nicht berührt worden war, streichelte sich. Und hielt inne. Sie griff nach der Seife. Sich einzuseifen war einer anständigen, verheirateten Frau erlaubt, aber nicht mehr. Durch ihre zusammengebissenen Zähne stieß sie vor lauter Wut und Enttäuschung ein kleines Knurren aus. «Oh Walpurnia, wehe dir!» Dann hielt sie die Luft an und versank im Wasser.
ALS STOPAK an jenem Abend nach Hause kam, saß Agathe, die wieder das gelbe Kleid trug, im Sessel am Fenster. Als sie hörte, wie sich sein Schlüssel im Schloss drehte, sprang sie auf, um ihren Mann an der Tür zu begrüßen.
Stopak stand wie ein Torpfosten da und ließ sich widerwillig küssen, und obwohl Agathe sich einredete, es nicht bemerkt zu haben, empfand sie es doch als weitere, kleine Ablehnung, als einen weiteren, eisigen Lufthauch, der durch die Wohnung zog. Sie nahm Stopak bei der Hand und führte ihn in die Küche.
«Ich habe Wein gekauft», sagte sie, «weil heute so ein besonders schöner Tag war. Ich konnte die Flasche allerdings nicht öffnen. Du wirst
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