Die Liga der Siebzehn: Unter Strom (German Edition)
leer zu sein. Wo kommt die Elektrizität her, Mr Vey?«
Ich schluckte. »Elektrolyte.«
»Das würde zutreffen, Mr Vey, wenn Sie ein Zitteraal wären.«
Wieder lachten alle. Taylor warf mir einen mitfühlenden Blick zu. Ich ließ meinen Stift fallen.
Ostin meldete sich.
»Mr Liss«, sagte Poulsen. »Erleuchten Sie uns.«
Ostin setzte sich in seinen Stuhl aufrecht, als wäre er im Begriff, eine Vorlesung zu halten, was er auch tat.
»Durch eine chemische Konzentration erzeugt der menschliche Körper elektrischen Strom in den Nervenzellen. Diesen Prozess nennt man Bioelektrogenese. Immer wenn ein Nervensignal ausgesendet wird, werden Kalium-Ionen aus den Nervenzellen ausgeschüttet und Natrium-Ionen fließen hinein. Diese Ionen haben jeweils leicht unterschiedliche Ladungen, und durch diese Abweichung der Ionenkonzentrationen innerhalb und außerhalb der Nervenzelle wird eine Ladung erzeugt, die unser Körper in Strom umwandelt.«
»Bravo, Mr Liss. Harvard erwartet Sie. Für diejenigen unter Ihnen, die keine Ahnung haben, was Mr Liss gerade gesagt hat, werde ich es an die Tafel schreiben. Bi- o-e -lek-tro-ge-ne-se.«
Poulsen wandte uns den Rücken zu, und Ostin drehte sich zu mir um und flüsterte: »Was war los bei Dallstrom? Muss Jack nachsitzen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich muss nachsitzen.«
»Dafür, dass du in deinen Spind gequetscht wurdest?«
»Ja.«
»Dallstrom ist ein Wichser.«
»Erzähl mir was Neues.«
4
Die Cheerleaderin
D ieser Mittwoch fühlte sich an wie der längste Schultag überhaupt. Und er war noch nicht mal annähernd zu Ende. Nachdem es endlich zum Schulschluss geläutet hatte, gingen Ostin und ich zu unseren Spinden, die nebeneinanderstanden.
»Willst du nachher vorbeikommen und Halo zocken?«, fragte Ostin.
»Kann nicht, muss Nachsitzen, schon vergessen?«
»Oh, stimmt.«
»Ich klingle mal, wenn ich nach Hause komme.«
Ostin und ich wohnten nur zwei Türen voneinander entfernt, im selben Mietshaus.
»Dann bin ich nicht da. Ich habe um vier Stepptanz. »
»Wääääh!« Es war schon schwer, sich Ostin überhaupt bei körperlicher Betätigung vorzustellen, aber Tanzen mit einer Horde siebenjähriger Mädchen in schwarzen Lackledersteppschuhen war wie ein schlimmer Autounfall: eklig, aber man muss einfach hinsehen. »Junge, du musst damit aufhören. Wenn das irgendjemand rauskriegt, ist dein Leben ruiniert.«
»Ich weiß. Aber die Stepptanzlehrerin ist die Cousine meiner Mutter, und Mom sagt, sie braucht das Geld und ich die Bewegung.«
»Trotzdem ist das eine Katastrophe«, sagte ich und machte meinen Spind zu. »Wir sehen uns dann morgen.«
Er streckte seine Faust aus. »Gettofaust.«
»Gettofaust«, antwortete ich und stieß gegen seine Faust, obwohl ich es inzwischen echt leid war. Ich meine, klar, es war okay gewesen – die ersten Millionen Male.
Die Gänge waren voller Schüler, als ich mit meinem Rucksack Richtung Cafeteria lief. Miss Johnson, eine junge, neue Englischlehrerin, war soeben eingeteilt worden, uns beim Nachsitzen zu beaufsichtigen. Mir war das recht. Sie galt als cool und nett, und ich hoffte, das bedeutete, sie würde uns vielleicht früher gehen lassen.
Ich ging zu ihr. Dabei musste ich mich zwingen, keinen Tic zu bekommen. »Ich bin Michael Vey. Ich muss nachsitzen.«
Sie lächelte mich an, als wäre ich gerade auf einer Dinnerparty angekommen. »Hallo, Michael. Herzlich willkommen.« Sie blickte auf ihr Klemmbrett und hakte meinen Namen ab. »Los, such dir einen Platz.«
Der Geruch von Mittagessen lag noch in der Luft (das alleine war schon eine Bestrafung), und hinter dem Metallgestell der Essensausgabe konnte ich die Küchenmitarbeiter hören, die sich auf die morgige Katastrophe vorbereiteten.
Es waren noch drei andere Schüler zum Nachsitzen da: zwei Jungs und ein Mädchen. Ich war der kleinste von ihnen und der Einzige, der nicht wie ein gemeingefährlicher Psychopath aussah. Ich sah mich nach einem Platz um, und das Mädchen wies mich mit einem bösen Stirnrunzeln darauf hin, ja von ihrem Tisch wegzubleiben. In der Ecke fand ich schließlich einen freien Platz und setzte mich.
Ich hasste Nachsitzen, aber zumindest würde es heute keine komplette Zeitverschwendung sein. Ich musste sowieso für Poulsens Test büffeln. Beim Herausholen meiner Bücher aus dem Rucksack bemerkte ich, dass meine Schulter noch immer wehtat von der Spind-Aktion. Ich zupfte an meinem Kragen und entdeckte einen leuchtend roten Kratzer. Zum Glück
Weitere Kostenlose Bücher