Die linke Hand Gottes
hergestellt haben sollten. Sie schworen bei einem Gott, der seine Kinder bis ins dritte und vierte Glied zu strafen drohte. Nach erholsamem dreiviertelstündigem Schlaf endete der Gottesdienst, und Cale trottete mit den anderen aus der Basilika zurück auf den Exerzierplatz.
Der Platz war tagsüber niemals leer. Die ständig wachsende Schar der auszubildenden Zöglinge in den letzten fünf Jahren hatte zur Folge, dass alles schichtweise absolviert werden musste, auch das Exerzieren. Exerziert wurde sogar nachts. Wegen der schrecklichen Kälte und der schneidenden Winde in der baumlosen Ödnis der Scablands waren diese nächtlichen Übungen besonders verhasst. Es war kein Geheimnis mehr, dass die steigenden Zöglingszahlen zur Rekrutierung von Truppen für den Krieg gegen die Antagonisten gebraucht wurden. Cale wusste, dass viele, die die Ordensburg verließen, nicht auf Dauer an die Ostfront abkommandiert wurden, sondern die meiste Zeit in Reserve gehalten oder in halbjährigem Turnus an beiden Fronten eingesetzt wurden mit über einjährigen Kampfpausen zwischen den Einsätzen. Das hatte er von Bosco erfahren.
»Du darfst zwei Fragen stellen«, sagte Bosco, nachdem er ihn über diese merkwürdige Regelung unterrichtet hatte.
Cale hatte einen Augenblick nachgedacht. »Habt Ihr die Absicht, gnädiger Vater, die Zeit der Truppen in Reserve noch auszudehnen?«
»Ja. Zweite Frage.«
»Dann brauche ich keine zweite Frage«, erwiderte Cale.
»Wirklich? Dann weißt du schon alles?«
»Ich habe Pater Compton zu Euch sagen hören, dass es an den Fronten keine Bewegung mehr gebe.«
»Ja, mir ist damals nicht entgangen, dass du mitgehört hast.«
»Und ihr spracht beide darüber, als ob es kein Problem dabei gäbe.«
»Fahre fort.«
»Ihr habt in den vergangenen fünf Jahren eine große Anzahl an Kriegermönchen ausgebildet – zu viele. Ihr habt versucht, ihnen Kampfeinsätze zu verschaffen, aber ihr wollt vermeiden, dass die Antagonisten mitbekommen, wie stark die Truppenzahlen steigen. Deshalb verlängert ihr die Zeiten in der Reserve. Uns wird immer wieder gesagt, es gebe Spitzel der Antagonisten an den Fronten. Stimmt das?«
»Ah, also doch eine zweite Frage.« Bosco lächelte, doch das war kein angenehmer Anblick. »Die ganze Zeit brüstest du dich, eine Frage würde dir reichen. Deine Selbstgefälligkeit wird dir noch zum Verhängnis werden und dein Seelenheil Schaden nehmen. Ich habe...« Er hielt plötzlich inne, so als sei er unschlüssig, was er als Nächstes sagen sollte. So etwas hatte Cale noch nie bei ihm beobachtet, und das beunruhigte ihn. »Ich verspreche mir etwas von dir. Ansprüche werden an dich gestellt. Es wäre besser für dich, mit einem Mühlstein um den Hals von den Mauern der Burg geworfen zu werden, falls du diesen Ansprüchen nicht gerecht werden und meine Erwartungen nicht erfüllen kannst. Dein Stolz macht mir den größten Kummer. Jeder andere Verantwortliche unseres Ordens wird dir sagen, dass Stolz die Ursache für alle anderen achtundzwanzig Todsünden ist, aber mir geht es um mehr als um deine Seele. Stolz trübt deine Urteilskraft und bringt dich in Situationen, die du vermeiden könntest. Ich habe dir zwei Fragen freigestellt, und aus Stolz, es mir zu zeigen, hast du im Fall des Versagens ganz unnötig eine Bestrafung riskiert. Es macht dich so verwundbar, dass ich mich frage, ob du meine Protektion all die Jahre über verdient hast.« Er starrte Cale an.
Cale blickte zu Boden, wütend bei der Vorstellung, dass Bosco ihn protegierte. Gefährliche Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er stumm wartete.
»Die Antwort auf deine zweite Frage lautet, dass die Antagonisten Spitzel und Geheimdienstleute an den Fronten haben. Es sind nur wenige, aber das genügt bereits.«
Cale starrte weiter zu Boden, tat so, als würde er keinen Widerstand leisten bei dem, was gleich unweigerlich folgte. Er wollte das Strafmaß verringern und grollte doch innerlich, dass Bosco Recht hatte und das kommende Unglück hätte vermieden werden können.
»Ihr bildet Reserven für eine große Offensive an beiden Fronten, dürft aber die dortige Truppenstärke nicht erhöhen, weil der Gegner sonst Eure Pläne errät. Die Ersatztruppen sollen Kampferfahrung bekommen, aber es sind mittlerweile zu viele – sie müssen längere Zeiten fern der Front verbringen. Und dabei braucht Ihr noch sehr viel mehr Soldaten, um mit den Antagonisten ein für alle Mal fertigzuwerden. Sie müssen kampferprobt sein,
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