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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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ereilte? Wenn mich heute Nacht der Tod ereilte?« Während Cale und die anderen auf dem Weg ins Bett den Gesang wiederholten, der in den vielen Jahren fast alle Bedeutung verloren hatte, da wuchs den Worten wieder jene fürchterliche Macht zu, die sie einst über die Frischlinge ausgeübt hatten, als sie die ganze Nacht über wachlagen und glaubten, sobald sie nur die Augen schlössen, würden sie den heißen Atem der teuflischen Bestie spüren oder das markerschütternde Knirschen der Türen des Höllenofens hören.
    Binnen zehn Minuten hatte sich der große Schlafsaal gefüllt, die Tür wurde abgesperrt und fünfhundert Zöglinge machten sich schweigend in diesem eiskalten, spärlich erleuchteten Saal zur Nachtruhe bereit. Dann wurden die Kerzen gelöscht und die Jungen glitten rasch in den Schlaf, denn sie waren seit fünf Uhr morgens auf den Beinen. Im Schlafsaal wurde geschnarcht, geweint, gewimmert und gegrunzt, je nachdem ob der Schläfer Trost oder Schrecken in seinen Träumen erfuhr.
    Nur drei Jungen fanden keinen Schlaf und das viele Stunden lang.

VIERTES KAPITEL
    C ale wachte früh auf, eine Gewohnheit, die er seit seiner frühesten Kindheit hatte. Das gab ihm gut eine Stunde Zeit, die er für sich allein hatte, sofern man gemeinsam mit fünfhundert Jungen in einem Schlafsaal überhaupt für sich allein sein konnte. Doch im Dunkeln vor Tagesanbruch sprach niemand zu ihm, beobachtete ihn, gab ihm Anordnungen, bedrohte ihn oder suchte einen Vorwand, ihn zu schlagen oder gar zu töten. Auch wenn ihn schon der Hunger plagte, war er doch im Warmen. Selbstverständlich dachte er an das Essen, das er in den Taschen seiner Kutte verborgen hatte. Obwohl es leichtsinnig war, jetzt nach der Kutte zu greifen, die neben dem Bett hing, konnte er dem Drang, der mehr war als der gewohnte Hunger, nicht widerstehen. Nein, es war Lust, der Gedanke, endlich etwas wirklich Wohlschmeckendes zu essen. Behutsam langte er in eine Tasche und holte das Erste, was seine Finger zu fassen bekamen, einen Kuchen mit Vanillecremefüllung, heraus und schob ihn in den Mund.
    Zuerst glaubte er, vor Freude den Verstand zu verlieren: Der Geschmack von Zucker und Butter erfüllte nicht nur den Mund, sondern das Gehirn, ja die ganze Seele. Beim Kauen und Schlucken spürte er eine über jeden Ausdruck gehende Wonne.
    Danach wurde ihm selbstverständlich übel. Sein Magen vertrug süße Leckereien nicht, genauso wenig wie Elefanten für Luftsprünge geschaffen sind. Wie ein vom Hungertod bedrohter Mensch, hätte ihm solche Nahrung tröpfchenund bissenweise zugeführt werden müssen, andernfalls würde sein Körper rebellieren und an dem sterben, was er so dringend brauchte. Cale lag eine halbe Stunde bewegungslos da und kämpfte gegen den Brechreiz an, bis es ihm tatsächlich wieder etwas besser ging.
    Schließlich hörte er die Schritte eines Mönches, der seine Runde vor dem allgemeinen Wecken machte. Die harten Sohlen seiner Schuhe schmatzten auf dem Steinboden. Plötzlich beschleunigte er seine Schritte und klatschte laut in die Hände: »Aufstehen! Aufstehen!«
    Cale, immer noch flau im Magen, erhob sich und zog die Kutte an. Er achtete darauf, dass ihm nichts aus den Taschen fiel, während seine Mitzöglinge um ihn herum stöhnten und mühsam auf die Beine kamen.
    Wenige Minuten später marschierten sie alle durch den Regen hinüber in die große Basilika zum Ewigen Erbarmen, wo sie die folgenden zwei Stunden auf die Gebetsformeln der zehn zelebrierenden Priestermönche antworteten mit Sätzen, die durch Wiederholung für sie schon lange jeden Sinn verloren hatten. Cale machte das nichts aus. Schon als kleiner Junge hatte er gelernt, mit offenen Augen zu dösen, im Takt mit den anderen die Antworten zu geben und doch einen Rest Aufmerksamkeit zu wahren, falls ein Mönch auf der Suche nach Bummelanten durch die Reihen strich.
    Danach folgte das Frühstück. Wieder grauen Haferbrei und »Eingeschlafene Füße«, ein Kuchen, der aus einer Mischung tierischer und pflanzlicher Fette, meistens ranzig, und verschiedenen Körnersorten gebacken wurde. Das Frühstück schmeckte zum Erbrechen, aber es war sehr nahrhaft. Nur dank dieser Mischung überlebten die Zöglinge überhaupt. Die Erlösermönche legten es darauf an, den Jungen so wenige Vergnügungen wie möglich zu gestatten, doch für den künftigen großen Krieg gegen die Antagonisten mussten die Jungen stark sein. Jedenfalls diejenigen, die bis dahin durchhielten.
    Erst um acht Uhr beim

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