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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wo die nächtliche Gasse im Halbdunkel lag, die Bungalows übereinander, die Vorhänge zugezogen.
    Bruno fragte: »Bist du immer noch gern hier?« Die Frau: »Manchmal wünschte ich mir eine stinkende Pizzabude vor der Haustür, oder einen Zeitungsstand.«
    Bruno: »Ich atme jedenfalls auf, wenn ich hierher zurückkomme.«
    Die Frau lächelte für sich.
    Im Wohnraum saß das Kind in einem sehr breiten Lehnstuhl, unter einer Stehlampe, und las. Als die Eltern eintraten, schaute es kurz auf und las weiter. Bruno näherte sich ihm; doch es hörte nicht auf zu lesen. Nach einiger Zeit schmunzelte es endlich, kaum merklich. Dann stand es auf und suchte in allen Taschen Brunos nach Mitgebrachtem.
    Die Frau kam mit einem Silbertablett, ein Glas Wodka darauf, aus der Küche, doch die beiden waren nicht mehr im Wohnraum. Sie ging durch den Flur und schaute in die Zimmer, die wie Zellen vom Flur abzweigten. Als sie die Tür zum Bad öffnete, saß da Bruno auf dem Wannenrand und schaute bewegungslos dem Kind zu, das sich, schon im Pyjama, die Zähne putzte. Es hatte die Ärmel aufgerollt, damit das Wasser nicht hineinrann, und leckte die offene Zahnpastatube – die Kinderzahnpaste hatte Himbeergeschmack – sorgfältig ab; stellte das Gebrauchte auf die Ablage zurück, wobei es sich auf die Zehenspitzen stellen mußte. Bruno nahm das Schnapsglas vom Tablett und fragte: »Du trinkst nichts? Hast du noch etwas vor für diese Nacht?«
    Die Frau: »Bin ich denn anders als sonst?«
    Bruno: »Anders wie immer.«
    Die Frau: »Was heißt das?«
    Bruno: »Du gehörst zu den wenigen Leuten, vor denen man keine Angst haben muß. Und außerdem bist du eine Frau, vor der man nichts spielen will.« Er gab dem Kind einen Klaps, und es ging hinaus.
    Im Wohnraum, während die Frau und Bruno gemeinsam die verstreuten Kindersachen von den verschiedenen Spielen des Tages aufräumten, richtete Bruno sich auf und sagte: »Mir summen noch die Ohren von dem Flugzeug. Laß uns ganz feierlich essen gehen. Mir ist es heute abend zu privat hier, zu – verwunschen. Zieh dir das Kleid mit dem Ausschnitt an, bitte.«
    Die Frau, die noch hockte und weiter aufräumte, fragte: »Und was ziehst du an?«
    Bruno: »Ich gehe, wie ich bin; das war doch immer so. Die Krawatte leihe ich mir an der Rezeption. Hast du auch Lust auf einen Fußweg wie ich?«
    Geführt von einem o-beinigen Kellner, betraten sie, wobei Bruno noch an der fremden Krawatte rückte, den festlichen, mit seiner sehr hohen Decke schloßartigen Raum eines Restaurants in der Nähe, das an diesem Abend kaum besucht war. Der Ober schob ihnen die Stühle hin, so daß sie sich nur niederzulassen brauchten. Gleichzeitig falteten beide die weißen Servietten auf; lachten.
    Bruno aß nicht nur seinen Teller leer, sondern wischte ihn auch noch mit einem Stück Weißbrot ganz sauber. Nachher sagte er, indem er ein Glas Calvados, das in dem Licht der Deckenlüster leuchtete, in der Hand hielt und es betrachtete: »Heute hatte ich es nötig, so bedient zu werden. Welch eine Geborgenheit! Welch eine kleine Ewigkeit!« Der Ober stand still im Hintergrund, während Bruno weitersprach: »Im Flugzeug habe ich einen englischen Roman gelesen. Da gibt es eine Szene mit einem Diener, an dessen würdevoller Dienstbereitschaft der Held des Buches die reife Schönheit jahrhundertealten Feudaldienstes bewundert. Das Objekt dieser stolzen, respektvollen Dienerarbeit zu sein, das bedeutet ihm, wenn auch nur für die kurze Stunde des Teetrinkens, nicht allein die Versöhnung mit sich selber, sondern, auf eine seltsame Weise, auch die Versöhnung mit der gesamten menschlichen Rasse.« Die Frau wendete sich ab; Bruno rief, und sie schaute, ohne ihn anzuschauen.
    Bruno sagte: »Wir bleiben heute nacht hier im Hotel. Stefan weiß, wo wir sind. Ich habe ihm die Telefonnummer neben das Bett gelegt.« Die Frau senkte den Blick, und Bruno winkte dem Kellner, der sich zu ihm beugte: »Ich brauche ein Zimmer für diese Nacht. Wissen Sie, meine Frau und ich möchten miteinander schlafen, sofort.« Der Kellner schaute beide an und lächelte, nicht verschwörerisch,eher teilnehmend: »Es ist zwar gerade eine Messe, doch ich werde fragen.« An der Tür drehte er sich noch einmal um und sagte: »Ich bin gleich wieder da.«
    Die beiden waren allein im Raum, wo auf allen Tischen noch Kerzen brannten; von den Tannenzweiggebinden daneben fielen fast lautlos die Nadeln; an den Wänden bewegten sich Schatten auf den Gobelins mit Jagdszenen. Die

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