Die Löwin von Aquitanien
Blick zuwarf. Vielleicht sollte er wirklich den nächsten Feldzug Guillaume überlassen. Er lauschte dem Klang der Flöten. Musik, Musik - er hatte sie immer für die wahre Erlösung der Menschheit gehalten. Als der Tanz zu Ende war, erhob er sich. Er bedeutete den Spielleuten, aufzuhören. Die Gespräche um ihn verstummten allmählich. Als Schweigen eingekehrt war, rief er: »Laßt uns trinken!«
Er sah von Guillaume, seinem tugendhaften, halsstarrigen Sohn, den er liebte, zu Aenor, der sanften, blassen Aenor, die er zwar für eine der besten Frauen hielt, die er kannte, aber dennoch niemals gegen seine intrigante, prächtige Dangerosa eingetauscht hätte. Ah, Dangerosa, dachte er und lächelte ihr zu. Was für ein treffender Na-me das doch war!
Er schaute auf Raymond, seinen jüngeren Sohn, den er kaum kannte und der ein freundlicher Fremder für ihn geworden war.
Raymond, vielleicht war es falsch, dich zu Guillaume zu schicken, wie Dangerosa mir geraten hat, aber ich glaubte, daß du dort glücklich sein würdest, und wußte, daß du es in Poitiers nicht warst, nicht mit Dangerosa vor Augen und dem Bewußtsein, daß deine Mutter dich in ihrem Kloster auch nicht haben wollte. Sein Blick wanderte zu Alienor, diesem amüsanten kleinen Mädchen, er blinzelte ihr zu und hob den Pokal, den man ihm gereicht hatte. »Auf das Leben, auf die Liebe und auf die Schönheit!« rief er, trank das Gefäß in einem Zug aus und schleuderte es fort. Einen Moment lang stand er still, dann wankte er und stürzte zu Boden.
Er war tot, als Guillaume neben ihm kniete und seine Schultern umfaßte.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, daß Guillaume IX, seit mehr als dreißig Jahren Herr über das reichste Land Europas, nun endlich einem Feind erlegen war - dem Tod.
Noch während der neue Herzog, starr und bleich, in der Kathedrale Saint-Pierre in Poitiers die Lehnsschwüre seiner Vasallen entgegennahm, begannen sich die ersten Folgen zu zeigen. Der Adel aus Toulouse war erst gar nicht erschienen. Doch da Guillaume weder die Rücksichtslosigkeit noch das Geschick seines Vaters in der Kriegsführung besaß, konnte er die Rebellion diesmal nicht nieder-schlagen, sondern nur verhindern, daß sie auch auf andere Gebiete übersprang. Er kehrte schließlich von seinem fruchtlosen Feldzug gegen Toulouse zurück, den er mit wenig mehr Erfolg in unregelmäßigen Abständen wiederholen sollte. Die Verwaltung und der Handel Aquitaniens blühten unter seiner Regentschaft, doch die Kriegskunst war ihm nicht gegeben, und die Niederlagen hinterließen bei Guillaume ihre Spuren.
Nach vier Jahren hatte sich ein ständiger Zug der Bitterkeit in sein Gesicht gegraben, er war reizbarer geworden, und niemand hätte mehr sein wahres Alter erraten. Dann traf ihn ein neuer Schicksals-schlag: Seine Gemahlin Aenor, die sich, seit Aigret zur Welt gekommen war, nie ganz erholt hatte, starb an einer Fehlgeburt. Kurze Zeit später verließ sein Bruder Raymond Aquitanien.
Raymond war nun achtzehn Jahre alt. Er hatte noch Aenors Grablegung abgewartet und wollte sich nun von seiner Lieblingsnichte verabschieden. Alienor befand sich in dem Raum, den sie mit Petronille teilte. Ihr Haar war zu einem strengen Zopf geflochten, und ihre schwarzen Kleider überdeckten ihre Jugend. Sie blickte auf die Wandteppiche aus Flandern.
»Willst du mir nicht Lebewohl sagen, Alienor?«
Sie schluckte, dann brach es aus ihr heraus: »Oh Raymond, ich verstehe nicht, warum du jetzt gehen mußt!« Raymond sah gequält aus.
»Ich habe es dir doch schon erklärt, Kleines - es ist eine große Ehre für mich, daß der König von England mich an seinen Hof beruft, und…«
»Blédhri sagt«, unterbrach ihn das Mädchen, »die Normannen sind nur Räuber und Mörder, die sich in England und Sizilien ein paar Kronen ergattern konnten, und ich habe noch niemanden getroffen, der ihm da widersprochen hätte!«
Es entsprach der Wahrheit. Der jetzige König von England und Herzog der Normandie hatte einen langen und blutigen Krieg gegen fast alle seine Verwandten geführt, bis er an die Macht gekommen war. Jetzt war er ein alter Mann, doch um die Zukunft seines Reiches stand es nicht besser als zuvor, denn seine Tochter und sein Neffe warteten nur darauf, mit Klauen und Zähnen um den Thron zu kämpfen. Raymond wußte das, doch er war zu jung, um diese Situation nicht als Abenteuer und Herausforderung zu empfinden.
»Hier werde ich immer nur Guillaumes jüngerer Bruder sein«,
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