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Die Loge der Nacht

Die Loge der Nacht

Titel: Die Loge der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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hin- und hergerissen. Einerseits trieb's ihn zur Flucht, redete eine Stimme ihm ein, daß er nur die Beine in die Hand nehmen und schleunigst Reißaus nehmen sollte.
    Andererseits war auch die Neugier eine starke Macht. Und sie wurde noch genährt von seiner Sorge um Kristine, die ihm, das wußte er hier und jetzt, mehr gewesen war als nur eine Gespielin. Wenn er sich heute davonmachte, würde er sie nie mehr wiedersehen, ganz gewiß nicht. Und wenn ihr etwas geschehen war, würde keiner dasein, der die schändlichen Missetäter ihrer Strafe zuführen konnte.
    Tobias faßte sich ein Herz.
    Und folgte den Männern, sich stets im Schatten der Häuser haltend, hinab zur Kirche.
    *
    Balthasar Auer sah der Hand zu, wie sie im Schein einer Kerze ein schier unerschöpfliches Repertoire von schrecklichen Schattenrissen an die Kirchenwand zauberte.
    Die Hand, die ein Geschenk des Teufels war. Und dem Teufel immer noch mehr gehörte als dem Schmied, der auch heute noch in mancher Nacht schweißgebadet aus dem Schlaf aufschrak und sich am Stumpf kratzen wollte, dort, wo ihm der Säbel des Landsknechts die eigene Hand abgetrennt hatte .
    Bis heute hatte er nicht ganz begriffen, was an jenem Tag vor dreizehn Jahren geschehen war.
    Aber zu verlockend war das Anerbieten des unheimlichen Besuchers gewesen, ihre Stadt künftig vor Krieg und Pest zu bewahren, wenn sie dafür im Gegenzug ihm einen dringenden Dienst erweisen wollten.
    Die neue Hand, die der Besucher aus der Tasche seines Rocks gezaubert hatte, nachdem der Pakt besiegelt gewesen war, war nur eine kleine Beigabe. Ein persönliches Geschenk für Auer, der sich an diesem Tag zusammen mit Henninger und ein paar anderen ähnlich arg vom Schicksal gebeutelten Männern durchgerungen hatte, zum Wohle aller noch lebenden oder künftig geborenen Bürger einen hohen persönlichen Preis zu bezahlen.
    Ihre Seelen zu verpfänden.
    Sein Blick traf über die Kerze hinweg kurz mit Henningers Augen zusammen, und ihm war, als würde der Freund genau derselben Erinnerung anhängen.
    Die Säfte in Auers Mund zogen sich zusammen, als er sich des zweiten »Geschenks« erinnerte, das der Besucher ihnen dagelassen hatte und das zum vielleicht wichtigsten Bestandteil ihrer Loge gereift war . .
    »Es ist soweit«, sagte Henninger, als das Kirchenportal aufgestoßen wurde. »Sie kommen!«
    Die Hand scherte es nicht. Sie trieb weiter ihren Schalk, der Auer so lange begleiten würde, wie er lebte. Und deren Treiben ihn jeden Tag, jede wache Stunde daran erinnerte, daß diese Hand das meiste Geschick im Töten beweisen würde.
    Falls sie sich dereinst um seine eigene Kehle krümmen würde .
    *
    Seit dem Tod der Eltern war Tobias Stifter kein sonderlich fleißiger Kirchgänger mehr gewesen. Trotzdem hatte er sich im Knabenalter oft in der Nähe des Gotteshauses herumgetrieben, weil der beeindruckende Bau eine ehrfurchtweckende Faszination auf ihn gehabt hatte. Und auch darin hatte er sich gründlicher umgeschaut als die meisten derer, die sonntags zur Predigt kamen. So kannte er also jede Tür und jede Treppe der Heiliggeistkirche und konnte auf die erste Empore hinaufgelangen, ohne daß ihn einer der Männer, die drunten im Kirchenschiff schweigend in die Bänke rutschten, gese-hen hätte.
    Sie versammelten sich wie zum Gottesdienst. Aber Tobias brauchte sich gar nicht gründlich umzusehen, um zu wissen, daß in dieser Kirche nicht dem Herrn gehuldigt werden würde - nicht in dieser Nacht. Denn alle Insignien, Kruzifixe und Heiligenbilder waren verschwunden.
    Nein, es hatte sie niemand entfernt. Sie waren zugedeckt, jedem Blick verborgen durch - Spinnweben!
    Das Innere der Heiliggeistkirche sah aus, als hätte man es mit gewaltigen, löchrigen Tüchern verhängt. Und die Gespinste wuchsen noch, so schnell, daß Tobias fast dabei zusehen konnte. Überall wimmelte, kroch und krabbelte es darin, weil Abertausende von Spinnen wie besessen am Werk waren, Faden um Faden zogen und zu Netzen verknüpften.
    Dumpf hallend schlug drunten hinter dem letzten der Eintretenden das Kirchenportal zu. Wie der Schlag einer Glocke rollte das Dröhnen entlang des Mauerwerks und ließ die klebrigen Netze ringsum zittern wie in starkem Wind.
    Dann kehrte Stille ein. So vollkommen, daß Tobias meinte, sein Atem und sein Herz müßten ihn den anderen verraten. Trotzdem zog er sich nicht weiter zurück, sondern schlich im Gegenteil noch ein Stück auf die Brüstung zu, so daß er gerade mit den Augen darüber hinweg sehen

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