Die Logik des Verruecktseins
existentielldringlicher als die kognitiven Kapazitäten, mit denen wir die Welt verstehen und die, zumindest auf den Spracherwerb bezogen, eine relativ junge evolutionäre »Erfindung« sind. Emotionen sind oft heikler und unangenehmer als das, was in Sprache fassbar ist. Manche Emotionen lassen uns deshalb regelrecht verstummen. Gibt es z.B. treffende Worte bei der Kondolierung am Grab für die Hinterbliebenen? Ein Blick der Anteilnahme sagt hier doch viel mehr als tausend Worte.
In diesem Kapitel begegnen wir nun erstmalig ungeschminkt unserer emotionalen Seite. Das wird nicht immer angenehm sein. Wir betreten ein Themenfeld des Seelenlabyrinths, das unheimliche Qualitäten besitzt, die wir vielleicht lieber umgehen würden. Wenn wir sie aber aussparten, würden wir nie das Grundprinzip des Seelenlabyrinths
verstehen können, wir blieben Schön-Wetter-Forscher, denen aufgrund ihrer mangelnden Einsatzbereitschaft Wesentliches entgeht. Sollte am Ende dieses Kapitels eine sprachlich kaum ausdrückbare, aber emotional gewichtige Botschaft im Leser angekommen sein, die ihm hilft, »zu verstehen«, welche Bedeutungen die Emotionen für unser Überleben besitzen und welche Gefährdungsmomente sich in ihrem Zusammenhang ergeben, dann wäre die verfolgte Absicht des Kapitels erreicht.
Der Beginn unseres Lebens im Innenraum eines anderen Menschen
Lassen Sie für einen Moment die folgenden Zeilen auf sich wirken:
»Plötzlich ist man wach. Selbst weit geöffnete Augen vermögen nichts zu sehen. Es herrscht eine alles verschlingende Finsternis. Aber es liegt sich doch auf weichen Kissen? Blind tasten die Hände in das schweigende Dunkle. Stoßen schon dicht vor dem Gesicht auf etwas. Aber das Etwas lässt sich nicht verschieben. Eine steif-weiche Barriere, nah am Körper, überall schon da, wohin die bald hastig um sich schlagenden Hände flüchten. Der Atem rast. Die Fäuste trommeln an die ringsum gestellten Wände. Mit einem Mal schlägt sich die Erkenntnis wie ein Axthieb in das Bewusstsein: Begraben! Lebendig begraben! Eine namenlose Angst lähmt alles …«
Wo hinein haben wir uns mit dieser Stimmung verirrt? Unmerklich, nur weil wir uns mit Spocks Tränen beschäftigt haben, sind wir in das Seelenlabyrinth hineingeraten. Wir befinden uns unvermittelt schon in seinem Zentrum. Unser Blick war im vergangenen Kapitel so gebannt auf unseren Evolutionskompass gerichtet, dass wir gar nicht bemerkten, wie wir uns durch das Nadelöhr des Eingangs hineingezwängt haben.
Klaustrophobische Enge umgibt uns jetzt. Wir sehen nichts, wir können nicht um Hilfe rufen. Uns umgibt in allen Richtungen eine
unüberwindbare Barriere. Warum befinden wir uns hier? Warum ist dies das Zentrum des Seelenlabyrinths? Wir befinden uns im Zentrum des Seelenlabyrinths, weil wir uns im Zentrum menschlicher Beziehungserfahrungen befinden. Dieses Beziehungszentrum ist geprägt von der Atmosphäre und dem Ort, in dem wir alle entstanden sind: dem Uterus. In der Gebärmutter erblicken wir aufgrund der dort herrschenden Dunkelheit und der anfänglichen Unreife unserer Augen zwar nicht das Licht der Welt, aber erspüren erstmals unser Sein. Unser erstes Sein ist dabei bereits ein Sein in einem Raum: ein Raum, den die Gebärmutter für uns bildet. Unsere Existenz hängt von Anfang an mit einem Raumverhältnis zusammen, das von einem anderen Menschen erzeugt wird. Alle anderen menschlichen Beziehungssetzungen sind, wie wir später sehen werden, vor allem Raumverhältnissetzungen mit anderen Menschen und in gewisser Weise immer eine Abwandlung dieser ersten Beziehungssetzung. Dies gilt für die schützend bergenden Anteile, die ein Aufenthalt in einem Uterus mit sich bringt, wie auch für die entstehenden Gefahren eines solchen Bergungsverhältnisses, auf die wir gleich eingehen werden. Zunächst aber müssen wir uns verdeutlichen, dass entwicklungskompetente Psychomasse, wie sie im Embryo angelegt ist, angewiesen ist auf sie umgebende und brütungsbereite Biomasse. Und dies gilt nicht nur in diesem frühen konkreten Sein. Auch später ist der Mensch permanent angewiesen auf andere Menschen, die mit ihrem Sein seine Psyche inspirieren.
Wenn wir uns nun als Seelenlabyrinthforscher in diesem frühen und ersten Bergungsverhältnis aufhalten, ist es hier zu eng, um uns mit unseren Autonomieerfahrungen, die wir im postuterinen Draußen gewonnen hatten, wieder so wohl wie einst fühlen zu können. Wir, die wir im Draußen Beziehungsalternativen zu
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