Die Logik des Verruecktseins
der Innenbebrütung des Nachwuchses nicht viel anders als mit gewissen Vorgängen in Ihrer Küche. Legt ein Tier seine Eier im Außen ab, wie es die Evolution über viele Hundertmillionen Jahre alternativlos durchführen ließ, ist das Ei einer Reihe von Gefahren und unvorhersehbaren Einflüssen ausgesetzt. Vor allem für eine Schwankung sind biologische Entwicklungsprozesse besonders anfällig und dies sind unvorhersehbare Temperaturänderungen.
Stellen sie sich vor, Sie wollten in Ihrer Küche etwas backen, vielleicht einen Kuchen. Sie werden sicherlich ein Rezept benutzen, das einer relativ einfachen Basisregel folgt: »Heizen Sie den Ofen auf 180 Grad vor.« Haben Sie die Zutaten verrührt und den Teig in die Form gefüllt, schieben Sie alles in den Backofen. Dann backen Sie den Kuchen ca. 40 Minuten. So machen es die Plazentaren: »Ausbacken« des Nachwuchses bei gleichbleibender Temperatur.
Die Alternative sieht folgendermaßen aus: »Wenn der Ofen eine Ausgangstemperatur von 100º Grad erreicht hat, beginne mit dem Backen. Sollte die Temperatur bei 100º Grad bleiben, nehme von Zutat 1 die Menge X. Sollte die Temperatur um 20º Grad im Verlauf ansteigen, nehme zusätzlich noch 10 Prozent von X. Halbiere dann aber Zutat 2 um 30 Prozent. Zutat 3 vermische mit Zutat 4 im Verhältnis 1 zu 1, wenn die Umgebungstemperatur um 30º Grad steigt …« usw.
Konstante Temperaturen ermöglichen ein übersichtliches Backrezept. Unvorhersehbare Temperaturen verkomplizieren das Backrezept um ein Vielfaches. Aus diesem Grund haben einfache Organismen häufig eine viel höhere DNA-Menge in ihrem Zellkern als komplexere Lebewesen. Schildkröten, die ihre Eier nicht bebrüten, sondern einfach im Sand vergraben, tragen viermal so viel DNA in ihren Zellkernen wie der Mensch. Sie sind so flexibel in ihrer Reaktion
auf die Außentemperaturen, dass sogar das Geschlecht des schließlich schlüpfenden Schildkrötenbabys von dem Verlauf der Außentemperaturen während der Reifezeit im Ei abhängig ist. Oberhalb eines bis heute noch nicht ganz genau bestimmten Temperaturscheitelpunktes schlüpfen nur Weibchen. Aber diese Flexibilität benötigt eben viel Kochrezept, also viel DNA.
Es gibt demnach keine wirkliche Korrelation zwischen evolutionär erworbener Komplexität eines Organismus und seiner DNA-Menge im Zellkern. 7 Die Evolution betreibt also ihr Anliegen nicht damit, dass sie immer mehr DNA in einer Art anhäuft, sondern eher, indem sie Entwicklungsprozesse vereinfacht, die Entwicklungsergebnisse neu strukturiert und dies vor allem mit Hilfe von genetischer Rekombination durch Sexualität ermöglicht. Ähnlich wie ein Autohersteller durch Fließbandarbeit den Herstellungsprozess rationalisiert und perfektioniert, so optimiert die Evolution Organismen. Sie optimiert aber nicht optimal, sondern nur hinreichend - so wie kein Auto ideal oder perfekt angepasst an den natürlichen »Lebensraum« Straße ist, sondern sich dann verkaufen lässt, wenn es verglichen mit anderen »Autoarten« hinlänglich gut konstruiert erscheint. Die Optimierung des Herstellungsprozesses führt verständlicherweise dazu, dass immer weniger Arbeiter gebraucht werden. Ebenso braucht ein höher strukturierter Organismus immer weniger DNA-Arbeiter. Allerdings muss die Zelle selbst immer leistungsfähiger werden, ähnlich wie das Fließband in der Autoherstellung immer komplexer und leistungsfähiger wird.
Werden psychische Störungen durch Vulnerabilitätsgene ausgelöst?
Was bedeutet dieser Zusammenhang für unser Thema der menschlichen Psychopathologie und ihr Verhältnis zur evolutionären Geschichte? Die gängige Vorstellung der biologischen Psychiatrie geht davon aus, dass bestimmte Gene, sogenannte Vulnerabilitätsgene, dafür verantwortlich seien, dass Menschen psychisch krank werden.
Die Träger dieser Gene werden, so die Theorie, nicht mit einer Wahrscheinlichkeit von hundert Prozent krank, diese Gene »schwächen« aber die psychische Robustheit gegen Stress und erhöhen die Bereitschaft für den entsprechenden Menschen, diese oder jene psychiatrische Krankheit zu entwickeln. Vulnerabilitätsgene würden z. B. Stoffwechselprozesse im Gehirn so beeinflussen, dass Menschen anfangen, sich verfolgt zu fühlen oder Stimmen zu hören, eine Symptomeinheit, die dann als paranoid-halluzinatorische Psychose bezeichnet wird. Tritt diese Störung wiederholt im Leben auf, spricht man von einer Schizophrenie. Die Schizophrenie gilt als die schwerste der
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