Die Lüge im Bett
doch! Beschissen ist es. Ja, genau das! Sagt dir der Begriff der inneren Kündigung etwas, Mutti?«
»Die Firma hat dir gekündigt?« Erschrocken beugt sich Ilse Wessel vor.
»Nein, nein. Ich! Ich habe gekündigt! Ich kündige zur Zeit alles. Jedem und allem! Verstehst du? Ich sprech's nicht aus, aber eigentlich bin ich schon weit weg. Verstehst du das?«
Ilse Wessels Gesichtszüge verändern sich. Die Besorgnis der Mutter schleicht sich hinein, die Furcht, etwas könne schieflaufen, sie habe versagt, in der Erziehung, als Vorbild, bei der Unterstützung.
»Schläfst du noch mit Vati?« Nina taut auf. Der Sex ihrer Eltern war stets tabu. Sozusagen nicht existent. Ein Wunder, daß sie überhaupt auf der Welt ist. Aber jetzt will sie es wissen.
»Ob ich ... ja, Nina, was ist denn das für eine Frage?«
»Wieso? Du brauchst ja bloß zu sagen, wie das so ist nach - warte mal - zweiunddreißig Jahren Ehe. Ist es nicht fürchterlich? Entsetzlich?« Sie beugt sich vor, wartet keine Antwort ab.
»Ich bin jetzt zwei Jahre mit Sven zusammen und gähne mir dabei einen ab. Verstehst du? Das Prickeln im Bauch ist weg. Ich bin überhaupt nicht mehr in ihn verliebt. Wenn er mit mir schläft, denke ich über meinen nächsten Film nach. Manchmal muß ich direkt schon aufpassen, daß ich das Ende noch mitkriege. Verstehst du? Seinen Höhepunkt. Es ist . ich muß mich von ihm trennen!«
Ilse nimmt einen tiefen Schluck aus ihrem Glas. Ein zartroter Schimmer überzieht jetzt ihre Haut.
»Du bist . warum? Kannst du dir das denn leisten?«
Kannst du dir das denn leisten? Da ist die Frage, die ihr seit ihrer Schulzeit durch Mark und Bein geht. Und sie verdient noch immer nicht genug, um ganz auf eigenen Beinen zu stehen. Weil sie wie ein Wickelkind an Svens Rockzipfel hängt. Gib mir Arbeit, gib mir Brot, liebe mich dafür, bis ich einschlafe! Was für ein Irrsinn, was für eine Falle.
»Ich kann es mir nicht leisten, verdammt! Aber ich will wieder Schmetterlinge im Bauch spüren, wenn ich mit einem Mann im Bett bin. Es ist so . gähnend langweilig!«
In einem Zug trinkt Nina ihr Glas aus. Sie zeigt auf das Hochzeitsbild ihrer Eltern. »Sag bloß, es ist bei euch noch so wie damals!«
Ilse Wessel schenkt ihr nach. »Doch«, nickt sie zögernd, »genau gleich!«
»Genau gleich gut oder genau gleich schlecht?«
»Euer Vater ist ein guter Vater. Er sorgt für uns alle, betrügt mich nicht, lügt mich nicht an.«
»Ja, ja! Aber im Bett, Mutti, im Bett! Wie hältst du das aus? Oder läuft gar nichts mehr?«
»Ich meine, das ist im Leben nicht so wichtig. Es gibt andere Werte. Dein Sven hat Erfolg, er sieht gut aus, er ist großzügig und ehrlich. Durch ihn hast du eine gute Arbeitsstelle, eine schöne Wohnung, bist versorgt. Und schließlich - du wolltest ihn doch unbedingt! Er war doch dein Traummann? Träum ihn dir im Bett doch einfach zurecht!«
Nina reißt die Augen auf. »Zurechtträumen? Machst du das so mit Vati? Einfach zurechtträumen?«
Ilse Wessel holt tief Luft. »Man kann nicht alles haben, Nina. Die Männer fürs Leben sind meistens nichts fürs Bett, und die fürs Bett sind meistens nichts fürs Leben! Irgendwann muß man sich entscheiden.«
Als Nina nach Hause kommt, ist es zwei Uhr morgens. Sven schläft schon. Sie geht leise durch die Wohnung. Ja, schön ist sie schon. Stuck an den hohen Decken, altes Parkett, große Flügeltüren. Sie allein könnte sich die mitten in Köln nicht leisten. Die Designermöbel auch nicht. Wieso habe ich eigentlich nie Geld? fragt sie sich unglücklich und öffnet den Kühlschrank. Die letzte Flasche Bier reckt den Hals hervor. Selbst die hat Sven bezahlt. Nina schlägt die Tür zu, um sie gleich darauf wieder aufzumachen. »Ich kill dich jetzt!« knurrt sie und greift nach dem Flaschenöffner.
Aus der Flasche trinkend steht sie kurz darauf vor dem Badezimmerspiegel. »Du bist alleine nicht lebensfähig«, prostet sie ihrem Spiegelbild zu. »Du bist zu blöd, richtig Kohle zu machen! Alle können das, nur du nicht!«
Nina nimmt einen tiefen Schluck. »Träum ihn dir doch zurecht! Auch wenn er dich im Sender wie den letzten Arsch behandelt. Sag danke und träum ihn dir zurecht. Er ist doch dein Traummann! Leck ihm die Eier und sag noch danke!« Die Flasche fällt ihr aus der Hand, poltert laut klirrend in das italienische Designerwaschbecken. Erschrocken greift Nina nach ihr. Das dicke braune Glas ist heil geblieben, nur das Waschbecken nicht. Mit dem Zeigefinger fährt
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