Die Lüge im Bett
Vermögen für Briefmarken aus und las wochenlang Absagen. Wenn überhaupt. Viele ignorierten sie einfach. Irgendwann sank ihr Mut. Sie war vierundzwanzig und haderte mit ihrem Schicksal. Ihre Mutter riet ihr zu einem Studium. Aber da bot ihr die Tageszeitung, der ihr Anzeigenblatt angehörte, aus heiterem Himmel ein ordentliches Volontariat an. Sie griff zu und war mit sechsundzwanzig endlich Redakteurin. Mit siebenundzwanzig brach dann Sven über sie herein. Er befreite sie aus der sicheren, gut bezahlten Stellung in der Provinz und brachte sie als freie Mitarbeiterin eines Privatsenders nach Köln. Alle ihre Wünsche gingen in Erfüllung. Köln! Fernsehen! Ein Traum von einem Mann! Mit einem Traum von einer Wohnung! Und einen tollen Wagen fuhr er obendrein. Kurzum, der perfekte Schwiegersohn für ihre Mutter! Selbst ihr Vater war gewillt, mit seiner Tochter und ihrem neuen Freund zu Abend zu essen. Und Nina pflegte sich plötzlich. Legte Wert auf gutes Aussehen, stieg vom Journalisten-Nonchalance-Look um auf Journalistin von Welt, vorzugsweise in Schwarz. Sie färbte sich ihre dunkelbraunen Haare kohlrabenschwarz, ließ sich aus kreuznormal schulterlang einen Pagenschnitt schneiden und kaufte sich zwei Paar schwarze Schuhe mit Blockabsatz. Und gehörte fortan dazu, zur Gilde der neuen Medienmacher in Deutschland!
Nina zwirbelt an einer Strähne ihres teuren Haarschnitts und bestellt sich noch ein Glas Sekt.
Sie seufzt. Aber nicht jeder war von ihrer Radikalveränderung begeistert. In ihrer Heimatgemeinde, eine halbe Stunde von Köln entfernt, hielten sie sie für ziemlich abgedreht, und ihre Busenfreundin Karin hat ihr vorgeworfen, sie würde eine Rolle spielen, sich selbst verleugnen. Außerdem passe Sven nicht zu ihr. Der sei doch nur auf Show aus. Oberflächlich und geltungsbedürftig.
Und sie, Nina, mit jetzt fast dreißig? Sie fand den Wechsel gut. Eine weitere Zwischenstation in ihrem Leben. Die wirklich großen Dinge kommen erst noch.
Mit einem entspannten Lächeln schläft sie ein.
RIO DE JANEIRO
In Rio empfängt sie Bernd Rollnitz. Er trägt ein buntes Seidenhemd, ist braungebrannt, auch auf seinem kahlen Schädel. Kein einziges Kopfhaar, das verriete, ob er ehemals dunkelhaarig oder blond war. Die stechenden blauen Augen und die buschigen, aschfarbenen Brauen lassen Nina allerdings auf blond tippen. Er wirkt aufgeschwemmt, und das erstaunt Nina. In ihrer Vorstellung stand in Rio die Körperkultur an erster Stelle. Bei Bernd ist es wohl eher der Alkohol. Und er wirkt auch nicht wie der dominante Macher, den Nina erwartet hat, sondern wie ein dienstbarer Mitläufer. Keiner, der ihr die Führungsrolle streitig machen wird, aber auch nicht gerade ein fester Rückhalt in brenzligen Situationen.
Sie beobachtet, wie ihr Gepäck in einen Bus verladen wird. Kisten um Kisten, Koffer um Koffer. Es gibt keine brenzligen Situationen, denkt Nina, einen Film über Jugendliche in Brasilien kriegst du allemal zusammen! Mit oder ohne Bernd Rollnitz.
»Können wir uns im Hotel dann gleich mal zusammensetzen?« fragt Leo beim Einsteigen.
»Klar, das wird das Beste sein.« Nina nickt und denkt, jetzt schlägt dir die Stunde. »Wann kommt der Regisseur eigentlich?« fragt sie Bernd, der sich mit einem großen Taschentuch über die Glatze wischt.
»Mit einer späteren Maschine. Ich zeige euch jetzt erst mal das Hotel!«
Das ist Nina recht, denn es ist feuchtheiß, und unter ihrem schwarzen Anzug kündigt sich bereits ein Sturzbach an. Im Bus ist es dagegen so kühl, daß ihr der nasse Schweiß kalt am Rücken klebt. Du wolltest es nicht anders, sagt sie sich und schaut aus dem Fenster. Rio de Janeiro! Sie fahren auf hohen Stelzen auf der Linha Vermelha, der Straße, die eigens für den Umweltgipfel der Vereinten Nationen 1992 gebaut wurde. Nina hat im Flugzeug darüber gelesen, weiß, das es eine Art Kosmetik war, um stinkende Kanäle und Elendsviertel elegant darunter verschwinden zu lassen. Trotzdem ist sie beeindruckt, als sie in der Postkartenwelt der Lagoa ankommt und die weiße Christusfigur auf dem Corcovado sieht. Und den Zuckerhut. Sie kann es noch gar nicht fassen, daß sie das tatsächlich mit eigenen Augen sieht! Es ist wie in einem Reiseprospekt!
Dann fährt der Bus am endlos breiten, himmlisch hellen Strand entlang und biegt schließlich in eine der abgehenden Straßen ein.
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagt Nina zu Tom, dem Tonmann, der neben ihr sitzt.
Er sagt eine Weile nichts, bis er beim
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