Die Lutherverschwörung - historischer Roman
unruhig und nervös: Wenn es darauf ankam, hatte er sich selbst und das Geschehen im Griff!
Er ging zu dem Fensterladen, öffnete ihn einen Spalt breit, stützte seine Hände auf einem der beiden Fässer ab, beugte sich nach vorn und schaute hinüber zum Dom und zur Aula Major. Der Kaiser und alle Kurfürsten waren bereits anwesend, aber offenbar verhandelte man noch über andere Dinge und hatte Luther noch nicht rufen lassen.
Das Wetter war typisch für die Jahreszeit, erst strahlender Sonnenschein und ein kalter blauer Himmel, von nichts getrübt; nun aber zogen Wolken heran, noch hingen sie über dem offenen Land jenseits der Stadtmauer, über den Feldern, in denen noch keine Frucht stand, über den eingezäunten Dörfern mit Teichen und Mühlen, über den Weinbergen und vereinzelten Waldstücken, in denen das Laub erst jetzt zu knospen begann, denn der Winter war lang und frostig gewesen. Hinter den leichten grauweiÃen Wolken trieb der Wind schwere, dunkle, sich auftürmende Regenwolken vor sich her. Auf dem Boden wechselten Licht und Schatten, leuchteten die Wiesen erst in hellem Grün auf, um gleich darauf eine dunkelgrüne, fast schwärzliche Färbung anzunehmen.
Vor dem Sitzungssaal hing eine Menschentraube. Nun sah Wulf, wie sich der kaiserliche Herold mit seinem bunten Wappenrock einen Weg durch die Menge bahnte und ohne Umwege den Johanniterhof ansteuerte. Es dauerte nicht lange, dann trat er den Rückweg an, diesmal in Begleitung von Luther. Sie betraten den Saal jedoch nicht sofort, sondern blieben erst vor einem Seiteneingang stehen, wo sich ebenfalls die Zuschauer drängten. Luther musste eine Weile warten, weil im Saal noch über einen Punkt verhandelt wurde, der nichts mit ihm zu tun hatte.
Wulfs Position hätte besser nicht sein können, weil er sowohl den Ketzer sah, als auch durch die offenen Fenster in den Saal schaute. Doch in der Zeit, während Luther wartete, verdichteten sich die Wolken, zogen über die Stadt hinweg und verdunkelten den gesamten Himmel, so weit das Auge reichte.
Die ersten Regentropfen fielen, und dazu blies ein heftiger, böiger Wind. Ãber dem Umland fielen heftige Schauer, wie schwarze Schleier sahen sie aus, die schräg vom Himmel kommend über die Ebene wehten; sie näherten sich in breiter Front der Stadt. Bald darauf ergoss sich ein Wolkenbruch über den Marktplatz. Die Neugierigen, die ungeschützt im Freien vor dem Verhandlungssaal ausharrten, stoben auseinander. Einige liefen in den Dom, andere suchten unter vorspringenden Dächern Schutz vor den plötzlich niederrauschenden Wassermassen.
Trotz des Unwetters behielt Wulf den Saal im Blick, aber der Wind war ihm nicht wohlgesonnen â so legte er das jedenfalls aus, denn er war es gewohnt, Naturereignisse persönlich und schicksalhaft zu betrachten. War es nicht höhere Gewalt, dass der Wind wieder einmal drehte und nun so heftig in den Platzregen hineinfuhr, dass er schräg in die offen stehenden Fenster der Aula Major wehte? Was war die Folge? Die Leute oben auf der Empore wurden nass, daher schloss man die schweren Fensterflügel. Wulf konnte nicht mehr sehen, was im Saal vor sich ging. Er schlug sich die Hände vors Gesicht und fluchte.
So schnell wirbelte das Rad der Fortuna, denn noch vor wenigen Augenblicken hatte er alles unter Kontrolle gehabt! Genau das waren die Dinge, die sich nicht im Voraus planen lieÃen. Ein Plan konnte noch so perfekt durchdacht und ausgearbeitet sein â er blieb nur Theorie bis zu dem Moment, wenn er der Wirklichkeit standhalten musste. Jeden Tag, bei jeder Verhandlung, hatten die Fenster offen gestanden, aber ausgerechnet jetzt kam dieser verdammte Regenschauer!
Ja, dachte Wulf, das ist eine Fügung von oben, eine Prüfung! Jetzt muss ich Stärke zeigen und Willenskraft, denn es gibt sie, diese entscheidenden Augenblicke im Leben eines Menschen, in denen er durch seinen Glauben alle Widerstände überwinden muss. Der Glaube kann Berge versetzen â hieà es nicht so in der Bibel?
»Die erste Art von Büchern handelt vom christlichen Glauben und von den Sitten. Diese Schriften sind so einfältig und evangelisch, dass selbst meine Gegner zugeben, dass sie nützlich und unschädlich sind; wert, dass ein Christ sie lese. Selbst die Bulle des Papstes, die voller wütender Grausamkeiten steckt, erklärt einige meiner Bücher für unschädlich.
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