Die Lutherverschwörung - historischer Roman
das ist doch Irrsinn. Ich habe kein Geld. Was wollt Ihr von mir?«
Er bedeutete ihr, leiser zu reden. »Es geht nicht um Geld.«
Um was dann? Hatte dieser Mann das Bild in Auftrag gegeben, um Martha zu entführen? Damit sie ihn kannte und keine Angst vor ihm hatte? Damit er sie auf der StraÃe ansprechen und irgendwohin locken konnte? Anna dachte daran, wie sie und Martha Lucas Modell gestanden hatten ⦠in Anwesenheit des Pilgers. Er war nett zu Martha gewesen und hatte ihr kleine Geschenke gemacht. Wo hatte er Martha abgefangen? Niemand hatte ihn dabei beobachtet. Es muss vor dem Stadttor gewesen sein, dachte sie, irgendwo zwischen dem Stadttor und dem Spielplatz der Kinder beim Fluss.
War sie an einen Verrückten geraten? Aber so wirkte er gar nicht. Im Gegenteil: Er machte einen sehr überlegten Eindruck und sprach wie ein Mensch, der genau wusste, was er tat. Es gab jetzt nur eine Sache, die von Bedeutung war: Sie musste herausfinden, wo er Martha versteckt hielt.
»Ich möchte, dass Ihr einen Menschen tötet.«
Anna zuckte zusammen.
»Es muss unauffällig geschehen«, sagte er. »Niemand soll je herausfinden, was Ihr getan habt.«
»Ihr seid verrückt!«
Plötzlich sprang er auf, so plötzlich und heftig, dass der Stuhl polternd auf die Holzdielen fiel. Seine Lippen zitterten, einen Moment fürchtete sie, er würde sie schlagen, aber dann gewann er seine Beherrschung zurück. Er hielt ihr seinen Zeigefinger vors Gesicht: So etwas solle sie
nie wieder
sagen!
Ich habe seinen wunden Punkt berührt, dachte Anna.
»Und hier ist das Geschäft, das wir beide abschlieÃen«, fuhr er fort, immer noch mit erregter Stimme.
»Ihr tötet Luther! Sein Leben gegen das von Martha!«
Ihr erster Impuls war es, laut zu lachen. Zu absurd, zu unglaublich erschien ihr das, was sie da gerade gehört hatte.
K APITEL 12
Worms, im März 1521
Nur wenn der Kaiser den Kopf zur Seite drehte, fasste Aleander ihn scharf ins Auge. Dann wagte er es, das noch sehr junge, glatt rasierte Gesicht mit dem für die Habsburger typischen weit vorgeschobenen Kinn zu betrachten. Das Aussehen des vor kurzem gewählten Monarchen täuschte. Die tief liegenden, halb geschlossenen Augen und die ein wenig schlaff herabhängende Unterlippe verliehen ihm ein verträumtes Aussehen. So wirkte er aber nur, wenn man ihn nicht kannte. Wenn er diskutierte und Anweisungen gab, zeigte sich, wie energisch und selbstbewusst er in Wirklichkeit handelte. Er ist jedenfalls keiner, dachte Aleander, der um den heiÃen Brei herumredet. Und das gefiel ihm.
Sie waren zu viert, auÃer Kaiser Karl und Aleander nahmen der einflussreiche Ratgeber Gattinara und Glapion, des Kaisers Beichtvater, an der Besprechung teil. Die wirklich wichtigen Entscheidungen waren bisher nicht in der Ständeversammlung gefallen, sondern schon vorher im kleinen Kreis. Und dabei, fand Aleander, sollte es auch bleiben. An die Ãffentlichkeit trat man erst dann, wenn alles schon feststand.
Der Reichstag war vor einigen Wochen eröffnet worden. Mit dem bisherigen Verlauf konnte Karl, der sich zum ersten Mal öffentlich im Reich zeigte, durchaus zufrieden sein. Er residierte zusammen mit seinem Hofstaat im Wormser Bischofshof.
Die vier Männer hatten sich in Karls Privatgemächern versammelt. Da der Kaiser viel auf Reisen war, führte er bestimmte Möbel, die ihm ein Gefühl von Heimat schenkten, immer bei sich. Solch ein Lieblingsstück war auch der hohe Lehnstuhl, auf dem er gerade saÃ.
Aleander, die Hände auf dem Rücken, ergriff das Wort. Er sprach flieÃend Spanisch, und seitdem er letztes Jahr im Juni als auÃerordentlicher Nuntius an den kaiserlichen Hof gekommen war, vertrat er die päpstliche Position in der Luthersache. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war es gewesen, dem Kaiser die Bulle vorzustellen, welche Luther den Kirchenbann androhte.
»Eure Kaiserliche Majestät!«, begann Aleander, der noch immer nicht recht wusste, wie er Karl einschätzen sollte. Der Kaiser war so unglaublich jung, und von allen Seiten versuchte man, ihn zu beeinflussen. »Erlaubt mir, in diesem Punkt Eurem ehrwürdigen Beichtvater zu widersprechen.« Aleander erntete von Glapion einen nicht sonderlich freundlichen Blick. Ohne sich beeindruckt zu zeigen, fuhr er fort: »Gewiss gilt es, politische Rücksichten zu nehmen; sicher ist der Einfluss von Kurfürst
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