Die Lutherverschwörung
Mann erschien dort, ein Söldner, bald darauf ein zweiter, neben ihm schon der dritte. Sie kamen in voller Bewaffnung in den Dom. Auch beim Hauptportal entstand Unruhe, die Menschen wandten ihre Köpfe, auch dort Söldner, bis zu den Zähnen bewaffnet, gleich fünf auf einmal.
Wulf begriff, dass Brangenberg ihn verraten hatte! Dafür würde der Bischof sterben – wie sein Sekretär.
Von überall kamen nun Söldner, natürlich hatten sie ihn längst entdeckt, weil er als Einziger stand und weil ihn sein Körperbau verriet. Alle Ausgänge waren versperrt, das Hauptportal, die Seitenportale, selbst der Durchgang zur Kapelle. Die Söldner nahmen keine Rücksicht auf die Messe, ihr Anführer schrie, dass es durch die ganze Kathedrale hallte. Der Priester hatte sich umgedreht und hob die Arme, als wolle er die Gemeinde segnen, die Söldner aber rannten die Gänge entlang und zwischen den Bankreihen hindurch und verursachten einen unglaublichen Tumult. Ein Familienvater sprang empört auf, aber die Bewaffneten rannten ihn einfach um.
Wulf fühlte sich wie ein winziges, im Netz zappelndes Insekt, das jeden Moment damit rechnet, dass die Spinne es tötet und frisst. Gab es noch einen Fluchtweg? Verzweifelt schaute er sich um. Die alte Frau hinter ihm hatte beide Hände an die Wangen gelegt; falls sie die Welt jemals verstanden hatte – nun nicht mehr! Zwischen zwei Säulen entdeckte Wulf eine schmale Tür. Er hatte keine Ahnung, wohin sie führte – hoffentlich nicht zur Gruft! Wie aus einem Traum erwacht, rannte er los. Der Anführer rief seinen Leuten Kommandos zu und die Söldner versuchten, Wulf den Weg abzuschneiden.
Er war zwar klein, aber – das hatte schon seine Großmutter gesagt – flink wie ein Wiesel. Und so fegte er durch die Bankreihen, zwei Männer versuchten ihn aufzuhalten, große Kerle, wie Kleiderschränke. Er duckte sich und huschte unter ihnen hindurch, ehe die schwerfälligen Klötze reagieren konnten. So erreichte er als Erster die Tür, hoffentlich war sie nicht verschlossen! Schwarze Jungfrau! Er riss sie auf und sah eine Treppe vor sich, die nach oben, zur Empore führte. Er knallte die Tür wieder zu – und da geschah das Wunder, das ihn möglicherweise rettete: Innen steckte ein Schlüssel! Wulf drehte zweimal am herzförmigen Griff. Einen Moment später polterten sie draußen gegen die Tür, rüttelten am Griff, schlugen mit ihren Fäusten gegen das Holz und fluchten.
»Schlagt die Tür ein!«, rief jemand. Ein Geistlicher, der rasch herbeigeeilt war, protestierte heftig, aber vergeblich. Wertvolle Zeit! Wulf keuchte die steilen Stufen hinauf, erreichte die Empore. Ein kurzer Blick hinunter ins Kirchenschiff verriet ihm, dass es mittlerweile niemanden mehr auf den Bänken hielt. Alle liefen umher, ein wahres Babylon.
Wohin jetzt? Schräg gegenüber führte eine weitere Treppe noch höher hinauf, aber was brachte das? Dann würde er irgendwann im Glockenturm landen und dort festsitzen wie die Maus in der Falle. Wulf rannte nach links, er spürte ein Stechen in der Seite, solche Aktionen waren nichts mehr für ihn. Falls er hier lebend herauskam, würde er sich zurückziehen und ein neues Leben beginnen. Da kam ihm jemand am anderen Ende der Empore entgegen, also gab es irgendwo einen weiteren Aufgang. Wulf machte kehrt und lief in die entgegengesetzte Richtung. Stimmen von der Treppe, sie hatten also die Tür aufgebrochen.
Am Ende der Empore sah Wulf einen Durchgang zum Turm und dort eine weitere Treppe nach oben. Nun blieb ihm kein anderer Ausweg. Die Stufen waren hoch, er stolperte im Dunkeln, stieß sich das Knie blutig, geriet außer Atem. Als er hinter sich schaute, sah er einen Söldner, der eine Armbrust in der Hand hielt, direkt auf ihn gerichtet. Es ging so schnell, dass Wulf keine Zeit zum Ausweichen blieb – aber der Bolzen schlug hart gegen den rötlichen Steinquader neben ihm.
Er stolperte drei Stufen weiter nach oben und konnte durch eine schmale Öffnung im Turm ins Freie schauen. Wenn er nur Flügel hätte wie die Tauben da draußen! Da fiel ihm das Gerüst ein: Als er zum ersten Mal vom Kornspeicher auf den Dom geschaut hatte, war es ihm kaum aufgefallen, weil man eine Kathedrale fast nie ohne Gerüst sah; immer gab es etwas zu erneuern oder auszubessern.
Wulf stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute aus der Öffnung; tatsächlich entdeckte er das Gerüst, aber es war weiter rechts. Schon reichlich erschöpft hastete er weiter, der Söldner knapp hinter ihm.
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