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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Born
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verachtete ihn und seinen ganzen Stand. War nicht die Art, wie sich der Adel kleidete, bei Licht betrachtet lächerlich? Und dann erst die Namen!
    Richard rührte sich nicht, er atmete schwer und keuchend und Wulf sah, wie sich sein Brustkorb hob und senkte. Er hatte sich seine Mission zweifellos anders vorgestellt, stolz und wichtig hatte er sich gefühlt, weil er eine Botschaft des Bischofs zu überbringen hatte, selbstherrlich war er aufgetreten und hatte Wulf den Kopf waschen wollen. Nun, das wäre zu verkraften gewesen – aber wer die Schwarze Jungfrau beleidigte, unterschrieb sein eigenes Todesurteil.
    Wulf wartete, er hatte keine Eile, der rechte Moment war noch nicht gekommen, denn der Chor hatte aufgehört zu singen und die Orgel war verstummt. Die Messe nahm ihren Fortgang, alte, vertraute lateinische Formeln erklangen, deren wahre Bedeutung Wulf zwar nicht kannte, die ihn aber vorbereiteten und einstimmten auf sein Amt als Vollstrecker. Wulf fühlte die Last der Verantwortung auf seinen Schultern, er war berufen, die Jungfrau zu rächen. Auch Luther hatte die Jungfrau beleidigt, indem er die Bedeutung der Heiligen schmälerte: Luther war Satan. Er war gekommen, die Religion zu zerstören und mit ihr die Heiligen. Und deshalb musste er öffentlich sterben.
    Aus den Augenwinkeln schaute sich Wulf um, die Menschen knieten wie er zum Gebet, die Orgel setzte wieder ein und kurze Zeit später der Chorgesang. Die Gemeinde sang nun mit, leise und innig begann der Gesang.
    »Sing!«, befahl Wulf.
    »Ich … kann nicht.«
    Wulf schob das Messer weiter nach vorn: »Sing!«
    Richard von Katzenelnbogen begann zu singen, seine Stimme war dunkel und wohlklingend. Auch Wulf sang. Er sang gern, Musik hob den Menschen über sich selbst hinaus, sie war ein Geschenk Gottes, ein Stück Himmel im Jammertal der Erde. Wulf sang zu Ehren der Schwarzen Jungfrau. Der Gesang schwoll an, alle Stimmen des Chores und der Gemeinde beteiligten sich. Der Klang der Orgel füllte die Weite des Raumes, Sphärengesang, göttlicher Wohllaut. Immer noch wuchs er, wurde lauter, mächtiger, ergreifender, alles mit sich reißend, jede Faser des Körpers durchdringend, füllte die Kathedrale bis zum Bersten, verharrte an diesem fast unerträglichen Punkt, trieb zum Wahnsinn, raubte den Verstand, schmerzhaft, leidvoll, lustvoll, dann zerbarst er, löste sich in einem unbeschreiblichen Höhepunkt, der alle ergriff, den Priester, den Chor, die Gemeinde, eine Unio Mystica, eine Ekstase … In diesem Moment stieß er Richard von Katzenelnbogen das Messer mit aller Kraft in den Leib. In Richards Gesang mischte sich ein kurzer Schmerzenslaut, ein halb erstickter Schrei, der im Jubel des Chorals unterging.
    Nun war es Wulfs Atem, der rasselte, sein Brustkorb, der sich hob und senkte, sein Herz, das dröhnte wie Paukenschläge. Er fühlte sich beglückt und erschöpft, hätte sich gern auf die Bank gelegt, den Kopf zum Gewölbe gewandt, um dort, als habe er das Weltall vor sich, dieses Buch des Schöpfers, die Streben und Bögen zu betrachten, die herrlichen Schlusssteine und die Ranken und Farben der Deckenmalereien.
    Aber das Messer steckte in Richards Körper – und dort konnte es nicht bleiben. Er musste es langsam und vorsichtig herausziehen, damit Richard nicht von der Bank fiel. Mit einer Hand war das nicht zu leisten, also fasste Wulf den Sekretär mit seiner linken Hand am Arm (hoffentlich beobachtete ihn niemand gerade in diesem Moment) und zog mit der rechten langsam das Messer heraus. Dann ließ er den Oberkörper nach vorn gleiten. Richards schwarzer Lockenkopf sackte auf die zum Gebet gefalteten, auf der Vorderbank ruhenden Hände. Der Ketzer war nun bestraft. Wulfs Botschaft an Brangenberg lautete: Wenn du mich betrügen willst, Bischof, wenn du dich nicht an unsere Absprachen hältst, ergeht es dir wie deinem Sekretär!
    Allerdings war Wulf so aufgebracht und von seinem Richteramt durchdrungen gewesen, dass er nicht über die Folgen nachgedacht hatte. Er musste jetzt schleunigst hier weg – und zwar unauffällig. Noch ruhte Richards Körper auf der Vorderbank und er wirkte wie ein Betender. Aber hing er nicht ein wenig schief? Wulf legte den Kopf auf die Seite und schaute genauer hin. Wenn er sich nicht sehr täuschte, so hatte sich der Leichnam ein wenig zur Seite geneigt. Was geschah, falls er, von seinem eigenen Gewicht gezogen, plötzlich umkippte?
    Wulf drehte den Kopf nach rechts und nach links. Man beachtete weder ihn noch den

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