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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Born
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Toten. Er starrte auf den Leichnam. Hatte er sich nicht schon wieder ein Stück nach links geneigt? Bald würde er ganz zur Seite rutschen und in sich zusammensacken! Wulf schnaufte, weil er in Panik geriet. Darüber hätte er sich vorher Gedanken machen sollen! Er hatte völlig den Kopf verloren und sich von seinen Gefühlen mitreißen lassen, das war nie gut. Zumindest hatte er die Ehre der Jungfrau wiederhergestellt, deshalb musste sie jetzt eingreifen und ihn retten!
    Wulf blieb keine andere Wahl, denn wenn er noch einen Moment zögerte, lag Richard am Boden. Er beugte sich über die Bank und fasste den Toten mit beiden Händen am linken Arm. Während er den Kopf leicht nach rechts drehte, bemerkte er die alte Frau auf der Bank schräg hinter ihm. Sie trug ein hellgraues Kopftuch, das ihre Haare fast vollständig verdeckte; in tiefen Höhlen lagen melancholische Augen, die Wulf unverwandt anstarrten. Die hochgezogene Stirn bestand aus unzähligen Falten, ihre Nase war schmal und gebogen, die Wangenknochen stachen spitz hervor. Am Ende der schmalen Lippen zogen sich die Mundwinkel fast bis zum Kinn hinunter. Er bekam einen mächtigen Schrecken. Hatte sie ihn die ganze Zeit beobachtet? Wusste sie, was er getan hatte?
    Wulf beugte seinen Kopf noch weiter nach vorn und tat, als spräche er mit Richard, als flüstere er einem alten Bekannten vertrauliche Worte ins Ohr. Wulf schaute nun die alte Frau direkt an und lächelte ihr freundlich zu. Zumindest bemühte er sich um ein freundliches Lächeln, denn ob es ihm wirklich gelang, kam ihm zweifelhaft vor. Er hatte das Gefühl, als verzerre er nur krampfhaft seine Lippen. Auf solch ein falsches, erzwungenes und verlogenes Lächeln würde das Großmütterchen gewiss nicht hereinfallen.
    Aber sie lächelte zurück, und zusätzlich betonte sie ihr Wohlwollen durch Nicken. Wulf war so perplex, dass er im ersten Moment nicht wusste, wie er ihr Verhalten deuten sollte. Trieb sie ein perfides Spiel mit ihm? Sie musste alles gesehen haben, er konnte es sich im Augenblick nicht anders vorstellen. Bedeutete ihr Lächeln: Na, mein Kleiner, habe ich dich erwischt? Mir entgeht nichts, und mit dem gleichen Lächeln betrachte ich dich, wenn dein Kopf vom Block des Scharfrichters rollt …
    Auch Wulf nickte ihr zu und fixierte sie dabei. Da war etwas, es ließ sich schwer in Worte fassen, dieses Lächeln … nein, das hatte nichts Durchtriebenes oder Bösartiges, aber etwas anderes – kein normales Lächeln. Wulf sprach wieder ein paar Worte zu Richard und schob sanft seinen schweren Oberkörper nach rechts, um ihn zu stabilisieren. Er ließ die Leiche wieder los, aber lange ging das nicht mehr gut. Mit wachsendem Schrecken bemerkte er, dass sich auf Richards kostbarem blauem Umhang ein dunkler Fleck abzeichnete, der im Moment noch klein war und eine violette Färbung zeigte; es war jedoch unverkennbar, dass er wuchs. Mussten nicht alle, die hinter ihm saßen, das bemerken? Vor allem die Alte? Wieder schaute er sie an. Es war nicht zu fassen: Sie beachtete den Gottesdienst überhaupt nicht, sondern in einem fort starrte sie ihn an. War sie verrückt?
    Nun war es Zeit zu handeln: Der Ketzer war noch nicht von der Bank gekippt, und die Alte stellte wahrscheinlich keine Gefahr dar. Also musste er endlich von hier verschwinden! Sollte er einfach aufstehen und gehen? Wichtig war, dass es nicht wie eine Flucht aussah, er könnte zum Beispiel Unwohlsein vortäuschen, den Eindruck erwecken, als müsse er sich gleich übergeben oder etwas Ähnliches, darauf verstand er sich ganz gut. Ein wenig gebeugt gehen, sich hier und da abstützen, sich vielleicht sogar von einem wohlmeinenden Helfer zum Ausgang geleiten lassen – danach konnte er in den Gassen verschwinden.
    Wulf erhob sich langsam und mit sichtlicher Mühe, er schulterte den Sack mit der Armbrust, das vom Blut gefärbte Messer steckte wieder in seinem Stiefel. Mit einem kleinen Seitenblick auf den Katzenelnboger, dessen Mantel am Rücken mittlerweile mehr violett als blau war, schwankend, sich an der Bank stützend, tat er ein paar unsichere Schritte. Die alte Frau, mittlerweile mit besorgtem mütterlichem Blick, schaute noch immer unverwandt in seine Richtung, auch die anderen Menschen in seiner Nähe blickten auf. Der Priester vorne stand mit dem Rücken zur Gemeinde am Altar und zelebrierte die Messe. Über ihm schwebten frische Weihrauchschwaden. Noch knieten alle, aber wie lange noch?
    Wulf bemerkte Bewegung am Seiteneingang. Ein

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