Die Macht des Lichts
und sie konnte ein Rinnsal der Macht ergreifen. Es war winzig, vielleicht die geringste Menge an Macht, die sie je gelenkt hatte.
Damit würde sie nicht einmal einen Strang Luft weben können, um ein Blatt Papier zu verschieben. Aber es würde reichen. Es würde reichen müssen. »Wir werden kämpfen!«
Nicola schaute zu ihr auf und schniefte. »Ihr könnt kaum die Macht lenken, Mutter!«, schluchzte sie. »Das sehe ich doch. Wie können nicht gegen sie kämpfen!«
»Wir können und wir werden«, erwiderte Egwene energisch. »Nicola, steht auf! Ihr seid eine Novizin der Weißen Burg und keine verängstigte Milchmagd.«
Das Mädchen schaute auf.
»Ich werde Euch beschützen«, sagte Egwene. »Das verspreche ich Euch.«
Das Mädchen schien Mut zu fassen und erhob sich. Egwene schaute zu der Stelle in dem Korridor, wo der Blitz eingeschlagen war. Dort war alles dunkel und die Wandlampen erloschen, aber sie glaubte sich bewegende Schatten zu sehen. Sie würden kommen, und sie würden jede Frau anleinen, die sie fanden.
Egwene wandte sich in die andere Richtung. Dort ertönten noch immer leise Schreie. Die gleichen, die sie beim Aufwachen gehört hatte. Sie hatte keine Ahnung, wohin ihre Wächterin verschwunden war, und es war ihr auch egal.
»Kommt«, sagte sie und setzte sich in Bewegung, hielt sich an der winzigen Menge Macht fest, wie sich eine Ertrinkende an einem Rettungsseil festklammert. Nicola folgte ihr; zwar schluchzte sie noch immer, aber sie kam. Augenblicke später entdeckte Egwene das, was sie zu finden gehofft hatte. Der Korridor war voller Mädchen, einige in ihren weißen Kleidern, andere in Nachthemden. Die Novizinnen drängten sich eng aneinander, und viele schrien bei jedem Treffer auf, der den Turm der Weißen Burg erzittern ließ. Vermutlich wünschten sie sich verzweifelt, unten zu sein, wo sich die Novizinnenquartiere früher befunden hatten.
»Die Amyrlin!«, riefen einige aus, als Egwene den Korridor betrat. Sie waren ein trauriger Haufen, angeleuchtet von Kerzen in verängstigten Händen. Ihre Fragen überschlugen sich, erblühten wie Holzschimmelpilze im Frühling.
» Was geschieht hier?«
»Werden wir angegriffen?«
»Ist es der Dunkle König?«
Egwene hob die Hände, und glücklicherweise verstummten die Mädchen. »Die Weiße Burg wird von den Seanchanern angegriffen«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Sie sind gekommen, um die Frauen gefangen zu nehmen, die die Macht lenken können; ihnen stehen Möglichkeiten offen, diese Frau dazu zu zwingen, ihnen zu dienen. Es ist nicht die Letzte Schlacht, aber wir schweben in höchster Gefahr. Ich habe nicht vor, sie auch nur eine einzige von euch mitnehmen zu lassen. Ihr gehört mir.«
Die Mädchen schauten sie an, voller Hoffnung und Nervosität. Es waren ungefähr fünfzig, vielleicht auch mehr. Es würde reichen müssen.
»Nicola, fasmen, Yeteri, Inala«, sagte Egwene und wandte sich an einige der Stärkeren unter den Novizinnen. »Tretet vor. Der Rest von euch passt jetzt genau auf. Ich werde euch jetzt etwas beibringen.«
»Was denn, Mutter?«, fragte eines der Mädchen.
Hoffentlich funktioniert das, dachte Egwene. »Ich werde euch beibringen, wie man sich miteinander verknüpft.«
Einige keuchten auf. Das war nichts, was man Novizinnen lehrte, aber Egwene wollte dafür sorgen, dass die Sul’dam in den Novizinnenquartieren keine leichte Beute fanden!
Die Methode zu lehren nahm eine Besorgnis erregende Zeitspanne in Anspruch, und jeder Augenblick wurde von weiteren Erschütterungen und neuen Schreien zerrissen. Die Novizinnen hatten Angst, und das erschwerte es einigen von ihnen, die Quelle zu umarmen, geschweige denn eine neue Technik zu lernen. Was Egwene nach nur wenigen Versuchen gemeistert hatte, dazu brauchten die Novizinnen fünf angsterfüllte Minuten.
Nicola war eine Hilfe - ihr hatte man schon in Salidar beigebracht, wie man eine Verknüpfung herstellte -, und sie konnte bei der Demonstration helfen. Egwene erschuf mit ihr einen Zirkel. Die junge Novizin öffnete sich der Quelle, ergab sich ihr aber nicht ganz, sondern ließ Egwene über sie die Macht in sich aufnehmen. Es funktionierte! Egwene verspürte ein wildes Hochgefühl, als die Eine Macht, die man ihr viel zu lange in vernünftiger Menge vorenthalten hatte, in sie hineinströmte! Wie süß sie doch war! Die Welt um sie herum war viel lebendiger, Geräusche viel prägnanter, Farben viel leuchtender.
Der Kitzel ließ sie lächeln. Sie konnte Nicola spüren,
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