Die Macht des Lichts
ihre Angst und ihre überschäumenden Gefühle. Egwene hatte an genug Zirkeln teilgenommen, um zu wissen, wie sie sich von Nicola abgrenzen musste, aber sie erinnerte sich, wie sie sich beim ersten Mal in etwas viel Größeres als sie selbst hineingerissen gefühlt hatte.
Es bedurfte einer bestimmten Fertigkeit, sich für einen Zirkel zu öffnen. Es war nicht immens schwierig, aber sie hatten nicht viel Zeit. Glücklicherweise begriffen es die ersten Mädchen bald. Yeteri, eine zierliche Blondine, die noch immer ihr Nachthemd trug, war die Erste. Kurz darauf konnte es auch Inala, eine schlanke Domani. Begierig bildete Egwene zusammen mit Nicola und den anderen beiden Novizinnen einen Zirkel. Macht strömte in sie hinein.
Als Nächstes ließ sie die anderen üben. Aus Unterhaltungen mit den Novizinnen während ihres Aufenthalts in der Burg hatte sie eine gewisse Vorstellung, wer von ihnen am geschicktesten mit Geweben und wer am vernünftigsten war. Das waren nicht immer die Stärksten, aber das würde auch keine Rolle spielen, solange ein Zirkel sie unterstützte. Eilig teilte Egwene sie zu Gruppen ein und erklärte, wie man durch eine Verknüpfung auf die Quelle zugriff. Mit etwas Glück würden zumindest einige von ihnen es kapieren.
Am wichtigsten war für Egwene, dass sie jetzt Zugriff auf die Macht hatte. Eine ordentliche Menge, beinahe genauso viel, wie sie normalerweise gewöhnt war - ohne Spaltwurzel. Sie lächelte voller Vorfreude und fing an zu weben, und die Komplexität ihrer Gewebe ließ einige der Mädchen vor Ehrfurcht staunen. »Was ihr hier seht, ist etwas, das ihr nicht ausprobieren werdet«, warnte Egwene, »nicht einmal jene von euch, die die Zirkel anführen. Das ist viel zu schwierig und gefährlich.«
Ein Strich Licht spaltete die Luft am Ende des Korridors und rotierte. Egwene hoffte, dass sich das Wegetor am richtigen Ort öffnete; sie richtete sich nach Siuans Schilderung, die etwas oberflächlich gewesen war; allerdings hatte sie ja auch noch Elaynes ursprüngliche Ortsbeschreibung.
»Außerdem«, fuhr sie streng fort, »werdet ihr dieses Gewebe vor niemandem ohne meine ausdrückliche Erlaubnis wiederholen, nicht einmal vor anderen Aes Sedai.« Allerdings bezweifelte sie, dass es überhaupt ein Problem sein würde, denn das Gewebe war sehr kompliziert, und nur wenige Novizinnen würden bereits die Fähigkeiten haben, es zu wiederholen.
» Mutter?«, quiekte ein Mädchen namens Tamala. » Ergreift Ihr die Flucht?« In ihrer Stimme lag Angst, aber vor allem die Hoffnung, dass Egwene sie in diesem Fall mitnahm.
»Nein«, erwiderte Egwene energisch. »Ich komme sofort wieder zurück. Und wenn ich zurückkomme, will ich mindestens fünf gute fertige Zirkel sehen!«
Und mit Nicola und den anderen beiden Mädchen im Schlepptau trat Egwene durch das Wegetor in einen dunklen Raum. Sie webte eine Lichtkugel, und die Helligkeit enthüllte ein Lager mit Regalen an den Wänden. Erleichtert seufzte sie. Sie hatte den richtigen Ort gefunden.
Die Regale waren mit seltsam geformten Gegenständen gefüllt. Kristallkugeln, kleine exotische Statuetten, hier ein gläserner Anhänger, der das Licht blau widerspiegelte, dort ein umfangreicher Satz metallene Handschuhe, deren Manschetten mit Feuertropfen geschmückt waren. Egwene ging los und ließ die drei Novizinnen mit staunenden Blicken zurück. Vermutlich konnten sie spüren, was Egwene bereits wusste - das waren Gegenstände der Einen Macht. Ter ‘angreale, Angreale, Sa’angreale. Relikte aus dem Zeitalter der Legenden.
Egwene ließ den Blick über die Regalreihen schweifen. Gegenstände der Macht waren berüchtigt dafür, sich nur unter großen Gefahren benutzen zu lassen, wenn man nicht genau wusste, was sie vollbringen konnten, feder Einzelne dieser Gegenstände konnte sie umbringen. Wenn sie doch nur …
Mit einem breiten Lächeln trat sie an ein Regal und nahm ein weißes, gerilltes Zepter von der Länge ihres Unterarms vom obersten Brett. Sie hatte es gefunden! Andächtig hielt sie es einen Augenblick lang, dann griff sie durch es hindurch nach der Einen Macht. Eine unfassbare, beinahe überwältigende Flut strömte in sie hinein.
Yeteri keuchte deutlich hörbar, als sie es spürte. Nur wenige Frauen hatten jemals so viel Macht gehalten. Wie ein tiefer Atemzug fuhr sie in Egwene hinein. Entfachte in ihr das Verlangen, wie ein Löwe zu brüllen. Mit einem breiten Grinsen schaute sie die drei Novizinnen an. »Jetzt sind wir bereit!«,
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