Die Macht des Lichts
Holztür zum Saal mit der silbernen Flamme von Tar Valon blieb Egwene mit rebellisch pochendem Herzen stehen. Plötzlich tauchte Siuan mit einem Paar Hausschuhen auf und zeigte auf Egwenes Reitstiefel. Natürlich: der Saalboden war kostbar bemalt. Sie zog die Schuhe an; Siuan nahm die Stiefel. Es gab keinen Grund zur Nervosität! Hier war ich doch schon einmal, dachte sie plötzlich. Nicht nur in Salidar. Bei meiner Prüfung zur Auf genommenen. Ich stand vor dieser Tür, konfrontierte die Frauen dahinter. In meiner Prüfung …
Plötzlich ertönte ein Gong; er erschien laut genug, um die ganze Burg zu erschüttern, donnerte, um alle zu warnen, dass gleich eine Amyrlin erhoben werden würde. Der Gong ertönte erneut, dann noch einmal, die verzierten Türflügel schwangen zurück. Ja, diese Erfahrung unterschied sich völlig von der in dem bescheidenden Holzhaus, in dem sie die Aes Sedai von Salidar erhoben hatten. In vielerlei Hinsicht war ihre Darbietung in Salidar nur eine Probe gewesen.
Die Türflügel verharrten, und Egwene unterdrückte ein Keuchen. Der prächtige Raum mit der Kuppeldecke wies jetzt direkt gegenüber dem Eingang ein hineingesprengtes Loch auf - eine klaffende Lücke. Sie schaute auf den Drachenberg hinaus. Das Gemach war beim Angriff der Seanchaner nicht so schlimm beschädigt worden wie andere; der Schutt war minimal, die Zerstörung reichte kaum über die Außenwand hinaus. Die erhöhte Plattform führte noch immer an der Wand entlang, und die darauf stehenden Stühle waren unbeschädigt. Insgesamt achtzehn, zu Dreiergruppen zusammengestellt, ein jeder lackiert und gepolstert, um die Ajah seiner Benutzerin zu verkünden.
Der Amyrlin-Sitz stand direkt dem Eingang gegenüber, vor dem zerstörten Mauerwerk, die Rückenlehne der weitläufigen Landschaft und dem fernen Drachenberg zugewandt. Wäre der seanchanische Blitz nur ein paar Fuß weiter eingeschlagen, wäre der Sitz zerstört worden. Er war unbeschädigt, wofür man dem Licht danken musste.
Egwene konnte einen Hauch von Farbe riechen. Hatten sie den Sitz in aller Eile umlackiert, damit er wieder alle sieben Farben zeigte? Wenn dem so war, dann hatten sie schnell gearbeitet. Allerdings hatten sie nicht genug Zeit gehabt, um die Sitze der Blauen zu ersetzen.
Egwene sah, dass Saerin, Doesine und Yukiri bei ihren Ajahs saßen. Seaine war auch da und betrachtete Egwene mit ihren so berechnend blickenden blauen Augen. Wie viel Macht hatten diese vier Frauen über die ganzen Geschehnisse gehabt? Die rundgesichtige Suana von den Gelben lächelte ungeniert zufrieden, als sie Egwene betrachtete, und auch wenn die meisten Gesichter den abgeklärten, gefühllosen Ausdruck der Aes Sedai zeigten, spürte Egwene Zustimmung in ihrer Haltung. Oder zumindest fehlende Feindseligkeit. Hinter dieser Entscheidung hatten mehr als nur die vier Jägerinnen der Schwarzen Ajah gestanden.
Saerin stand von ihrem Stuhl im Abschnitt der Braunen auf. »Wer tritt vor den Saal der Burg?«, fragte sie mit weit tragender Stimme.
Egwene zögerte, weil sie noch immer die Sitzenden betrachtete. Ihre Plätze waren in gleichmäßigen Abständen auf der umlaufenden Plattform gruppiert. Zu viele Stühle waren unbesetzt. Es gab nur zwei Grüne Sitzende; Talene war vor Wochen geflohen. Bei den Grauen fehlte Evanellein, die früher am Tag verschwunden war. Velina und Sedore waren ebenfalls weg. Das war nicht gut; beide standen auf Verins Liste von Schwarzen Ajah. Waren sie gewarnt worden? Bedeutete Evanelleins Verschwinden, dass Verin sie übersehen hatte?
Von den Roten Schwestern war ebenfalls keine anwesend. Egwene erinnerte sich unvermittelt, dass Duhara die Burg vor Wochen verlassen hatte - niemand kannte den Grund, aber einige hatten behauptet, Elaida hätte sie auf eine Mission geschickt. Vielleicht erledigte sie Geschäfte der Schwarzen Ajah. Die anderen beiden roten Sitzenden, Javindhra und Pevara, waren auf geheimnisvolle Weise verschwunden.
Damit blieben elf Sitzende übrig. Den alten Burggesetzen zufolge nicht genug, um eine Amyrlin zu erheben - aber die hatte Elaidas Auflösung der Blauen Ajah geändert. Weniger Sitzende bedeutete auch, dass weniger Frauen benötigt wurden, um eine Amyrlin zu erheben, und jetzt waren nur noch elf von ihnen erforderlich. Es würde eben reichen müssen. Wenigstens war jede zurzeit in der Burg anwesende Sitzende über das Ereignis informiert worden; es geschah nicht geheim wie damals Elaidas Erhebung. Und Egwene konnte sich
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