Die Maggan-Kopie
zu haben. Mit Worten kannst du nichts erreichen, nur mit Taten!“
Maggan spürte die unbä n dige Wut in ihm. Den Zorn auf das System. Doch so sehr sie ihn auch liebte, konnte sie diesen Zorn nicht mit ihm teilen. Die moderne Welt hatte auch viel Schönes zu bieten. So schlecht, wie er sie sich immer einr e dete, war sie nicht.
Im nächsten Sommer, kurz nach ihrem sechzehnten Geburtstag, wollten sie wieder ein paar Wochen in die Berge, doch ihr Vater musste zurück nach Europa. Maggan wollte unbedingt dort bleiben. Sie hatte das Gefühl, nicht ohne Kenny leben zu können und er beteuerte, das Gleiche zu fühlen. Als sie hörte, wie ihr Vater ihrer Mutter mitteilte, dass er in die Nähe von Berlin ve r setzt worden war, schlich sie sich aus dem Haus.
Kenny wohnte nur drei Straßen weiter. Es war schon spät abends und die Siedlung wurde nur von ein paar Straßenlaternen beleuchtet. Schwärme von Mo t ten und Faltern schwirrten in den Lichtkegeln herum. Maggan kroch durch das Loch hinten in der Hecke in seinen Garten. Es war eine sternenkl a re Nacht und die Rosen am Haus dufteten betörend. Ihre Schuhe versanken leicht in der we i chen Erde. Vor dem Haus trat sie auf einen schmalen Kieselweg. Sie begann Steine aufzusammeln und an sein Fenster zu werfen. Seine Eltern waren noch wach, denn aus dem Wohnzimmer drangen kleine Lichtstrahlen durch die Ri t zen der Jalousien. Irgendwann öffnete er sein Fenster und als er sie unten sah, ahnte er wohl schon etwas. Er kletterte über das G a ragendach zu ihr hinunter. Dabei machte er vor Aufregung so viel Lärm, dass es an ein Wunder grenzte, dass nirgendwo eine Tür oder ein Fenster au f ging.
„Oh, Kenny“, flüsterte sie aufgeregt, „wir ziehen nach Europa, weit weg. Dann können wir uns nicht mehr sehen. Ich will nicht weg!“
„Was? Das kann doch nicht sein! Ich will auch nicht ohne dich leben. Verdammt. Was sollen wir tun?“, antwortete er schockiert. Sie überlegten, dann kam Kenny zu dem Schluss:
„Wir hauen ab! Warte hier. Ich packe ein paar Sachen. In der Wildnis sind wir s i cher!“
Nach kurzer Zeit kam er mit einem großen Rucksack und den Schlüsseln des Kleinwagens seines V a ters aus dem Haus geschlichen. Sie stiegen ins Auto und flüchteten in die Berge. Später erfuhr Maggan, dass ihre Eltern erst am nächsten Nachmittag bemerkt hatten, dass sie verschwunden waren. Am Mo r gen hatten sie angenommen, dass sie in der Schule seien. Erst als sie nicht zur gewohnten Zeit nach Hause kamen und ein Telefonanruf ihres Vaters hervorbrachte, dass sie beide überfällig waren, schöpften sie Ve r dacht.
Ihr Vater organisierte sofort eine große Suchaktion. Zehn Tage später hatten sie die beiden, halb erfr o ren und fast verhungert, gestellt. Obwohl es Sommer war, hatten die Nächte in den Bergen etwas Winte r liches an sich. Die Suchmannschaft unter der Leitung von Rune Svenson hatte richtige Spürhunde eingesetzt und als Maggan und Kenny sie in der Ferne hörten, ließen sie i h re Sachen fallen und rannten kopflos davon. Doch sie waren so entkräftet, dass sie sich nur noch zwei Meilen weit schleppen konnten. Sie kamen sich vor wie gejagte Verbrecher. Die Verfolger legten sogar ein Sperrfeuer, um i h nen den Rückweg abzuschneiden und sie aus dem Wald auf die Felsen zu tre i ben. Maggan hatte nie verstanden, warum ihr Vater zu so extremen Mitteln gegriffen hatte. Sie wusste zwar, dass er Kenny wegen seiner radikalen Ideen gegen die Umweltzerstörung nicht besonders leiden konnte, doch diese Aktion grenzte schon fast an Hass.
Der Plan ging auf. Sie flüchteten sich auf die Felsen. Ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen. Irgendwann saßen sie wortlos auf einem Felsen und erwart e ten ihre Verfolger. Sie hatten keine Kraft mehr sich zu wehren. Das Einzige, was sie noch tun konnten, war hemmungslos zu weinen. Maggan war sich nie ganz sicher, ob Kenny wirklich wegen ihrer bevorstehenden unausweichlichen Tre n nung weinte, oder nur angesichts der dicken Rauchschwaden, die seinen vielleicht noch mehr geliebten Wald vernichteten. Der Hubschrauber brachte sie nach Hause.
Noch am selben Abend flog Maggan mit ihrer Familie nach Berlin. Sie hatte Kenny nie wiedergesehen. Zwar versprachen sie sich zu schreiben und wenn sie achtzehn waren, wollten sie heiraten, doch daraus wurde nichts. Der Austausch von E-Mails dauerte keine sechs Monate. Wahrscheinlich war Kenny jetzt verheiratet und hatte Kinder und dachte überhaupt nicht mehr an sie. Das war das a b rupte
Weitere Kostenlose Bücher